Faszination Pfarramt (II)

Impuls auf dem 52. Pfarrerinnen– und Pfarrertag in Bonn*

Alžběta  Hanychová 

„Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.“ (1 Pt 5, 10)

Liebe Freunde, liebe Kollegen, liebe Brüder und Schwestern,

zuallererst danke ich Euch für die Einladung zu diesem Treffen - und für Euren Dienst - dafür, dass Ihr euch der Botschaft Christi annehmt. Und eigentlich, nein – zunächst einmal danke ich nicht Euch – sondern ich danke Gott für Euch.

 

Das ist die richtige Art, eine Epistel zu eröffnen, einen Gruß an Christen von einem anderen Ort, im Bewusstsein der Zusammengehörigkeit, der gemeinsamen Arbeit und der gemeinsamen Hoffnung, nicht wahr? Wir sollen heute miteinander über die Grundlagen und Prinzipien unserer Verkündigung nachdenken (im weitesten Sinne des Wortes, denn sie findet in einer Vielzahl von Kontexten statt) – und das ist eine sehr ähnliche Situation...

 

Die Apostel wussten sehr wohl, warum auf diese persönliche Weise zu beginnen und zu enden. Zum einen hat es eine sehr gute kommunikative Funktion – es öffnet die Tür für das Verständnis und die Gemeinsamkeit. Zum zweiten: nur wenn wir unseren Adressaten als einen Menschen, in unserem Kontext als unseren Nächsten begreifen - nicht als Subjekt, nicht als Untergebenen, nicht als Instrument unserer Ziele oder als Objekt unserer Verdienste um das Wohlergehen der Welt... Erst in diesem Moment hören wir auf, das Evangelium zu beschreiben und zu besprechen, erst in diesem Moment fangen wir an, das Evangelium zu leben - auch im Rahmen unseres Berufs, auf der Suche nach guten Instrumenten für das Wohlergehen der Welt.

 

An diesem Punkt würde ich alle meine Vorbereitungen am liebsten über Bord werfen und mich umsehen. (Ein älteres Gemeindemitglied erinnert mich regelmäßig daran, mutig zu sprechen - also werde ich es versuchen - und wenn das zu viel ist, dann liegt es vielleicht an meinen Sprachdefiziten, vielleicht an falscher Einschätzung, bitte verzeihen Sie mir).

Um die fünfzig Personen sind heute hierhergekommen, der Anzahl nach dem Durchschnittsalter offensichtlich ‚noch mehr‘… Wo sind all die Mitglieder des tausendköpfigen Vereins hin? Sind sie krank oder ausgebrannt? Haben sie keine Zeit gefunden? Kümmern sie sich nicht? Sind sie derart überlastet, dass ihre Gemeinden sie von lokalen Aufgaben nicht befreien wollten?

 

Schon während meines Engagements in der Jugendarbeit habe ich ähnliche Frustrationen erlebt oder erzählt bekommen, und auch in der Gemeinde sind sie oft nicht zu vermeiden... Meine Mutter, ebenfalls Pfarrerin, hat mir eines beigebracht: Es kommt, wer kommt. Arbeitet damit, was ihr habt. Fragt euch ernsthaft, ob ihr irgendwo etwas oder jemanden hindert, aber anstatt euch zu beklagen, nehmt diejenigen an, die gekommen sind - es sind nicht zu wenige. Sie sind jetzt hier, Sie hören (oder lesen) jetzt diesen Beitrag. Sie kümmern sich. Ihre Erfahrung, Ihre Bereitschaft, sich um die Belange der Vereinsmitglieder zu kümmern - das ist nicht zu wenig. Danke für Sie, Sie und Ihr Interesse sind wichtig. Tatsächlich.

Und so nehme ich meine vorbereiteten Notizen wieder in die Hand, schließlich haben Sie mich wegen der Erfahrungen in unserem Verein eingeladen... Das heutige Thema, das Sie sich ausgesucht haben, ist die Berufspflege - zufällig beschäftigen wir uns in diesem und im nächsten Jahr auch in unserem SpEK (Verein der evangelischen Prediger) intensiv mit einem ähnlichen Thema. Wir haben die Antworten nicht, aber lassen Sie mich unsere Diskussion in ihren aktuellen Schwerpunkten vorstellen…

 

1) Unangenehme Zahlen

Wie bei den meisten helfenden Berufen, insbesondere bei denen, die eine akademische Ausbildung erfordern, scheint die Zahl der Pfarrer und Pfarrerinnen deutlich zu sinken. Zum großen Teil stimmt das - in der Vikarsausbildung gibt es in der Regel 2-5 Vikare und Vikarinnen, die stärkeren Generationen gehen nun in den Ruhestand, einige werden „zivil“ (meist aus Familiengründen, aus Gründen der körperlichen und geistigen Gesundheit und aus beruflichen Gründen), die Säkularisierung der Gesellschaft und die Entinstitutionalisierung der Religion werden immer deutlicher.

 

Wir können dies als eine Bedrohung oder als Ballast der Zeit ansehen. Aber es ist unsere Zeit, unsere Welt. Metaphorisch gesprochen, unsere Figur, unsere Garderobe - es bleibt uns also nichts anderes übrig, als die Falten und die fehlenden oder überflüssigen Kilos zu akzeptieren - und nicht nur das - auch ihren Charme und ihren Reiz zu entdecken und den Schmuck, den wir bekommen haben, anzupassen, vielleicht ihn mit neuen Edelsteinen besetzen.

 

Dass es geht, zeigt eine unserer Tendenzen - das Schönheits- und Erfolgsideal von 2 % auf 40 % der Proportionen und Typen unserer Zeitgenossen zu erweitern (die Zahlen sind illustrativ, aber Sie verstehen hoffentlich).

 

In ähnlicher Weise beobachte ich einen Wandel in der gesellschaftlichen Akzeptanz von Pfarrern - weg von der traditionell feindseligen Sichtweise als rückständige, menschliche Dummheit oder Leiden missbrauchende Personen. Vielleicht liegt es an der Fülle viel fremderer, seltsamerer Religionen und Lebensstile in der Gesellschaft, vielleicht an der Arbeit einiger Kollegen in der Online-Welt, vielleicht an persönlichen Erfahrungen aus der Arbeit in den Gemeinden, auf Hochzeiten und in sozialen Diensten. Die meisten Menschen, denen ich heute außerhalb der Kirche begegne, interessieren sich für meine Arbeit, das Leben einer Pfarrerin und der Kirche - der Zielgruppe, für die wir arbeiten und der wir dienen (obwohl viele Klischees immer noch im Spiel sind).

 

2) Verschiebung im Lebens- und Berufszyklus

Als meine Eltern sich für ihr Theologiestudium entschieden, entschieden sie sich im Grunde für eine lebenslange Berufung in der Kirche (es sei das totalitäre Regime, ein Burnout oder eine persönliche Tragödie änderten das).

 

Das veränderte sich nach der Wende deutlich, als viele „Nicht-Kirchenmitglieder“ ein Theologiestudium begannen, und heute sind wir daran gewöhnt, dass eine berufliche Neuorientierung mitten in der produktiven Lebensphase oft notwendig (und auch gut möglich) ist.

 

Das bringt auch wesentliche Vorteile: Es gibt mehr erfahrene und reife „frische Kräfte“ in den Gemeinden, die Zahl der ehrenamtlichen Hilfsprediger nimmt deutlich zu (sie sind zum Dienst an Wort und Sakramenten ordiniert, brauchen aber nur eine weniger intensive biblische Ausbildung und kein Vikariat wie Pfarrer, die eine Gemeinde leiten), und es ist möglich, den Dienst zeitweilig abzubrechen und wieder zurückzukehren. (Das hat natürlich seine Schattenseiten, aber das ist nicht ganz unser heutiges Thema).

 

3) Veränderungen im Bereich der Pastorenarbeit

Mit neuen Zeiten, neuen Menschen und neuen Entwicklungen in der Kirche und in der Welt hat sich das Spektrum der pfarrlichen Tätigkeiten radikal erweitert.

Zu den traditionellen praktisch-theologischen Disziplinen, der Gemeindeleitung und der Notwendigkeit, bisweilen mehr Energie auf die Reparatur von Gemeinderäumen als auf die theologische Arbeit zu verwenden, ist eine ganze Reihe weiterer Anforderungen und Möglichkeiten hinzugekommen. So braucht der Pfarrer Einblicke in Projekt- und Kultur-Management, professionelle Beratung verschiedener Art, Pädagogik, Kommunikationstechnik und vieles andere mehr. 

Im Sommer haben wir eine Arbeitsgruppe gebildet, die mit einem Soziologen und einem Dozenten für Praktische Theologie zu überlegen beginnt, wie dies mit weniger Pfarrpersonen zu schaffen ist.

 

4) 70. Jahrestag der Ordination von Frauen

Das feiern wir in unserer Kirche in diesen Wochen.

Als ich für ein Treffen Antworten auf die Frage vorbereitete, was wir Frauen auf dem Weg zu guten Arbeitsbedingungen noch gebrauchen könnten, fiel mir ein, dass es um dieselben Dinge geht, die auch meine Kommilitonen und ältere und jüngere Kollegen vertiefen sollten:

 

Wisst ihr was, diejenigen von euch, die gerne Notizen machen – nehmt euch je 2 Punkte vor – und vielleicht macht ihr damit den Diamanten eures Berufs ein bisschen heller.

 

+ Die Vielfalt der pastoralen „Typen“ wertschätzen

 

+ Die Vielfalt der Berufungen für den Dienst des Evangeliums zu schätzen wissen

 

+ Dynamik, Teilzeit- und Vollzeitarbeitsmöglichkeiten

 

+ herzliches Interesse + Taktgefühl

 

+ Sensibilität + Freiheit für Familien

+ weniger jovialer Quatsch

 

+ Teamarbeit in der Gemeindeleitung

 

+ Konzentration auf die Idee (Sache), nicht auf das „Ideal“ (Bindung an eine idée fixe)

 

+ Raum für Freizeit und Pflege von Freundschaften außerhalb auch innerhalb der Gemeinde

 

+ Möglichkeit zur Verarbeitung von Traumata und Krisen

 

+ Unterstützung für geistige und körperliche Kondition

 

+ Supervision und Weiterbildung

 

+ Humor, Satire und Einsicht

 

+ Kunst

 

+ männliche Kollegen in Elternzeit und Kinderbetreuung und (Groß-)Elternbetreuung

 

+ das Wissen, dass der Pfarrerberuf ein Traumjob ist

 

+ mit guten Kollegen in Kontakt sein

 

+ Pflege der persönlichen Spiritualität

+ biblische Sensibilität für unterschiedliche Lebenswege von Frauen und Männern

 

+ biblische Sensibilität für die Bedeutung der Berufung, auch wenn es mal hapert

 

+ Liebe zu den Menschen, die einem anvertraut sind, und zur Schöpfung

 

+ Akzeptanz von Unvollkommenheit (sowohl der eigenen als auch der der Gemeinde)

 

+ Konzentration auf die Berufung und ihren Geber

 

+ Segen für die unmittelbare Umgebung

 

+ Überraschung

 

+ Pastoralbriefe mehr (besser) lesen

 

5) Pfarrertag, der vom 22. bis 26. Januar 2024 in Prag stattfinden wird.

Das Thema: Die Ordination. Wozu?

Wozu werden PredigerInnen eigentlich ordiniert? Und braucht man heute Ordination überhaupt noch?

Die Zeiten ändern sich. Die Gesellschaft verändert sich, die Kirche verändert sich, wir verändern uns, die Formen der pastoralen Arbeit verändern sich. Die Ordination bleibt.

Was bedeutet die Ordination für uns wirklich? Und wie trifft sie sich mit der Praxis der Verkündigung – von PfarrerInnen, von SeelsorgerInnen, von PrädikantInnen? Wie sehen wir Protestanten die Ordination historisch und aus heutiger Perspektive? Wie sehen wir es in der Ökumene?

All dies und noch viel mehr werden wir beim nächsten Pfarrertag reflektieren und diskutieren. Vielleicht trägt diese Reflexion auch dazu bei, Predigerinnen und Prediger beruflich zu festigen.

 

Zu den Referenten und Teilnehmern gehören Kollegen aus der Evangelischen Kirche der böhmischen Brüder sowie aus der tschechischen und internationalen ökumenischen Gemeinschaft. Das Programm wird sehr umfangreich sein, Vorträge werden mit Workshops kombiniert. Zugesagt haben bislang der römisch-katholische Priester und Theologe Tomáš Petráček, der evangelische Pfarrer und praktische Theologe Ondřej Macek, das niederländisch-deutsche Theologenehepaar Klara Butting und Gerard Minnaard, die praktische Theologin Kerstin Menzel und der der presbyterianische Theologe Charles Wiely und andere.

Wir schätzen die regelmäßige Teilnahme von ausländischen KollegInnen und Vortragenden sehr. Wir würden uns sehr freuen, Sie und Ihre Schwestern und Brüder und aus Ihrer Kirche als Gäste begrüßen zu dürfen (spek.evangnet.cz).

 

6) Vergnügen:

Die größten Schlachten der großen Geschichten werden von Minderheiten gewonnen - zum Teil von Rettern mit Superkräften oder außergewöhnlicher Abstammung, zum Teil aber auch von Helden und Heldinnen, die unscheinbar, manchmal bis zur Lächerlichkeit aufdringlich, verstört oder verängstigt wirken. Meine Empfehlung ist: Habt keine Angst vor dem Minoritätsstatus. Er ist nicht nur eine Herausforderung, sondern bietet auch einen ungewöhnlichen Handlungsspielraum. Die Aufzählung von biblischen Beispielen überlasse ich den Sonntagsschul- oder Theologielehrern.

 

Ich will nur darauf hinweisen, dass der Herr Jesus von der Masse befolgt wurde, aber er hat durch einige wenige Jünger und Frauen Veränderungen in die Welt geschickt (und die größte Veränderung wurde durch ihn selbst herbeigeführt, nicht durch ihre ‚christliche Leistung‘).

 

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Schwestern und Brüder, Diamanten sind oft im alltäglichen Schutt versteckt - und außerdem: Manchmal reichen eine professionelle Grundlage, ein oder zwei Mitarbeiter verschiedener Art und dann das, was man selbst besitzt, völlig aus, um eine Aufgabe oder einen Tag zu bewältigen.

 

Als das perfekte Outfit passt manchmal auch der tollste Bijouterie-Schmuck der Großmutter, ein Tattoo aus rebellischen Zeiten oder eine Stola von den liturgischen Nachbarn wunderbar.

 

Genießen Sie Ihre Berufung - und wo Sie es nicht können, überleben Sie es mit dem lieben Gott, möge er Ihnen gute Kompagnons und seinen Geist schenken.