Faszination Pfarramt (I)

Impuls auf dem
52. Pfarrerinnen– und Pfarrertag in Bonn

Stephan Sticherling

 

Vom Beruf der Pfarrerin und des Pfarrers geht eine Faszination aus. Wir hätten diesen Beruf nicht ergriffen, wenn uns nicht irgendetwas daran fasziniert hätte. Deswegen haben wir uns gedacht: Wir machen auf dem Pfarrerinnen- und Pfarrertag mal nicht das zum Thema, was unseren Beruf belastet und beschwerlich macht. Vielmehr: Lasst uns über seine Schönheit, seine Faszination reden!

 

Während der Priesterberuf in der römisch-katholischen Kirche vom Versprechen bei der Priesterweihe geprägt ist, dem Bischof zu gehorchen und ihm Ehrfurcht entgegenzubringen, ist die evangelische Freiheit für den evangelischen Pfarrberuf konstitutiv. Was aber ist evangelische Freiheit und inwieweit herrscht Freiheit tatsächlich in unserer Kirche? Wie ist es um die Freiheit eines Christenmenschen bestellt, dem Priestertum der Getauften? Einst waren sie Untertanen kirchlicher Obrigkeiten, heute sind sie vielleicht noch Kundinnen und Kunden eines religiösen Dienstleistungsunternehmens, die bei Laune gehalten werden müssen, damit sie weiterhin ihre Kirchensteuer zahlen. Aber wir Pfarrerinnen und Pfarrer sind es, die die Menschen befähigen können, von ihrer Freiheit Gebrauch zu machen, ihren Glauben selbständig und mündig zu gestalten, selbstbewusst Verantwortung zu übernehmen und Mitwirkung und Einfluss in Kirche, Gemeinde und Öffentlichkeit anzustreben und auszuüben. Wir können sie dabei ermutigen, unterstützen, beraten und begleiten, durch Bildung und Seelsorge, Fürbitte und gemeinsames Leben.

Oder wie steht es um die Freiheit der Ortsgemeinde? Noch verstehen wir unter so genannten Gemeinden vergleichsweise anonyme und hohen Verwaltungsbedarf erzeugende Kirchen-Regionen, die zugleich Unterabteilungen der Kirchenkreise und lokale Repräsentanzen der Kirchenleitung sind, mit Presbyterien, die kaum mehr als nur noch abnicken können, was von oben kommt. Aber wir Pfarrerinnen und Pfarrer haben es in die Hand, die Menschen anzuregen und anzuleiten, selbst Kirche zu sein, Gemeinde von unten wachsen zu lassen und Netzwerke aus persönlichen Beziehungen und aus gegenseitiger Achtsamkeit und Anteilnahme zu bilden, das nicht nur “Angebote” bereithält, vielmehr “Heimat” ist – also exakt das, was das Neue Testament unter einer „Gemeinde“ versteht.

 

Und was hat es mit der Freiheit des Pfarramtes selbst auf sich? Wir dürfen erwarten, dass Freiheit und Würde unseres Amtes geachtet werden, auch von Presbyterien, Synoden und der Kirchenleitung. Wir sind nicht die Funktionärinnen und Funktionäre der übergeordneten Leitungsebenen. Wir nehmen keine Aufträge entgegen, weder von der Superintendentin noch von der Kirchenleitung. Wir gestalten unseren Dienst im Rahmen unserer Dienstanweisung selbständig, nach Gottes Wort und unserem Gewissen. Wir legen unsere Konzeption vor und wir geben Rechenschaft, aber wir sind in der Wahrnehmung unseres Dienstes frei. Wir müssen auch nicht die sein, die Kirchen, Einrichtungen und Gemeinden vorstehen. Wir sind da, ansprechbar und präsent, wir ergreifen die Initiative, wir beraten, befähigen und begleiten, aber wir müssen es nicht zu sein, die selbst leiten und verwalten. Das können andere besser. Wir sind theologisch und auf anderen Gebieten kompetent, wir bilden uns kontinuierlich fort, wir üben uns (und andere) im geistlichen Leben, wir können durchaus auch mal sagen, wo es lang geht. Wir achten darauf, ob „Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt“ (Barmen III).

 

Was mir auffällt: Wenn sich unsere Kirchen in den sozialen Medien wie Facebook präsentieren, erscheinen dort nahezu ausschließlich Pfarrerinnen und Kirchenfunktionäre. Das Kirchenvolk verschwindet dahinter fast völlig. Die jüdischen Gemeinden werden dagegen durchweg von Laien repräsentiert. Im Zentralrat sitzt dagegen nicht ein einziger Theologe. (Abraham Lehrer zum Beispiel, den wir vor drei Jahren als Referenten hatten, ist kein Theologe, sondern Geschäftsmann.) Rabbinerinnen und Rabbiner wirken im Hintergrund und haben gleichwohl einer Schlüsselfunktion, ohne die auf Dauer kaum etwas geht und die darin besteht, die Gemeindeglieder anzuleiten, ihren jüdischen Glauben zu praktizieren und zu präsentieren. Das Laienamt ist im Judentum zentral. Warum sollte es bei uns anders sein?

Der Grund für die vielen Erschöpfungen im Pfarramt ist, dass nicht immer wirklich klar ist, wer wir sind und sein sollen und welche Rolle wir im Ganzen des kirchlichen Systems einnehmen. Nach lutherischer Tradition wird die Gemeinde durch unser Tun in Verkündigung und Sakramentsverwaltung erst der Boden bereitet, während nach reformierter und Barmer Tradition wir Teil eines Teams sind, dem das Amt als Ganzes anvertraut ist. Was soll denn nun gelten? Oder handelt es sich hier nicht wirklich um eine Alternative? Wie ist das Verhältnis zu den anderen kirchlichen Berufsgruppen geschaffen? Wie ist das Verhältnis zu denen geregelt, die von ihrer Ordination ehrenamtlich Gebrauch machen, also zu den Prädikantinnen und Prädikanten? Beim letzten Pfarrerinnen- und Pfarrertag im vorigen Jahr hat sich gezeigt, dass hier noch Fragen offen sind. Wie steht es um die eigene Spiritualität, um die kontinuierliche theologische und sonstige Fortbildung, um das mutuum colloquium und die consolatio sororum et fratrum? Wie geht es unseren Familien, nachdem das klassische Bild vom Pfarrhaus der Vergangenheit angehört? Wo haben wir unsere Kraftquellen, woher beziehen wir unsere Fähigkeit zur Resilienz her?

 

Während die Pfarrvertretung auf gewohnt kompetente und engagierte Weise sich auf die „Mühen der Ebene“ konzentriert, in Ausgestaltung und Anwendung des Pfarrdienstrechtes, in der Betrachtung des konkreten Einzelfalls, im Blick auf den auf den kirchlichen Alltag und in Beratung und Austausch, dann entlastet sie damit den Pfarrverein, so dass dieser eine etwas erhöhte Position einnehmen, über den Horizont blicken und das Ganze zu überschauen kann. Wir betrachten die Kirche – so, wie Jesus es schon getan hat – als ein lebendes Wesen und achten auf die Regeln, nach denen sich Lebendigkeit, Wachstum und Eigendynamik entfalten können. Es kann gar keinen Zweifel daran geben, dass die evangelische Freiheit, also die Freiheit eines Christenmenschen, die Freiheit der Gemeinde und die Freiheit des Pfarramtes, - so, wie oben angedeutet - zu den Grundbedingungen gehört, unter denen die Kirche gedeihen kann. Und wenn es darum geht, diese evangelische Freiheit zu fördern, herzustellen oder wiederherzustellen, sind wie im Pfarrverein ganz vorne dabei. Das ist der Grund, warum wir neben der Arbeit der Pfarrvertretung, die unentbehrlich ist, auch auf den Pfarrverein nicht verzichten können, weil sonst zu viel von dem, was für unser Amt und unsere Kirche wesentlich und konstitutiv ist, in Vergessenheit gerät.

Die derzeitigen Kirchenreformprozesse, die ja nicht mehr sind als Anpassungsprozesse an kontinuierlich kleiner werdende Handlungsspielräume, werden wir nicht beeinflussen können, das haben wir inzwischen begriffen. Was wir aber können, das wollen und werden wir auch tun: Wir werden alles, was in unseren Kräften steht, tun, um die Schönheit und Freiheit und Würde unseres Berufes und unseres Berufsstandes zu schützen und, wo das nötig ist, wiederherzustellen.

 

Deswegen wollten wir wissen, wie es andere machen. Dafür haben wir eine junge Kollegin und einen jungen Kollegen aus zwei der schönsten Hauptstädte Europas eingeladen, nämlich Kristoffer Johannes Schmidt-Hansen aus Kopenhagen und Alžběta Hanychová aus Prag. Wir haben beide kennengelernt, weil sie in ihren Pfarrvereinen engagiert sind. Kristoffer ist ganz frisch ordiniert, aber engagiert sich schon lange für seinen Beruf, er kümmert sich z. B. darum – was wir viel zu wenig tun – dass schon die Studierenden den Weg zum Pfarrverein finden;  Alžběta organisiert z. B. mit anderen eine jährliche in Prag stattfindende theologische Konferenz, an der ich mit Dagmar Kunellis in diesem Jahr teilgenommen haben – was diese kleine Kirche da auf die Beine stellt, ist wahrlich beeindruckend. Eine Woche lange mit hochkarätigen Leuten aus aller Welt richtig Theologie und anderes treiben zu können, das war großartig. Beide kommen aus sehr unterschiedlichen Kirchen, Alžbětas Kirche ist jene, die wir als presbyterial-synodal geordnete „Kirche der böhmischen Brüder“ kennen, sie gab es schon längst, als die Reformation in Wittenberg gerade erst losging, und sie ist heute eine Kirche in einem Land, dass – anders als beispielsweise Polen und vergleichbar mit Ostdeutschland - zu denen am weitesten säkularisierten Ländern Europas gehört. Kristoffer ist Pfarrer in einer Kirche, die sich – wenn ich das richtig weiß, neben der EKD als einzige ausdrücklich „Volkskirche“ nennt und die in diesem Sinne durchaus noch im Volk verwurzelt sind.

Wir haben beide eingeladen, um zum einen deutlich zu machen: So unterschiedlich die jeweiligen Bedingungen und Voraussetzungen auch sein mögen, unter denen die Kolleginnen und Kollegen ihren Dienst tun – das Pfarramt ist ein europäisches Projekt. Zum anderen haben wir sie gebeten, aus ihrer Arbeit zu erzählen. Was sind Pfarrerinnen und Pfarrer bei euch? Welche Rollen spielen sie bei euch, in eure Kirche und euren Gemeinden und in der Gesellschaft? Wie geht es ihnen und wie ist die Stimmung unter ihnen? Wie begeistert ihr junge Menschen für den Beruf des Pfarrers und der Pfarrerin? Was tut ihr, um die Schwestern und Brüder im Amt zu ermutigen, zu trösten, zu stärken und zu begeistern? Wie blickt ihr, was das Pfarramt betrifft, in die Zukunft? Worauf legt ihr den Schwerpunkt, und was beschäftigt euch am meisten? Und was können wir alle dazu beitragen, um die Faszination unseres freizulegen und sichtbar zu machen und den Diamanten zum Funkeln zu bringen?

 

Wir sind gespannt auf das, was ihr uns erzählen werdet.