Ordination - Chance oder Risiko?

Vortrag beim 52. Rheinischen Pfarrerinnen- und Pfarrertag am 7. November 2022 in Bonn

Helmut Aßmann

 

Ordination. Als erstes eine Erinnerung an einen Generalkonvent hannoverscher Geistlicher im Kuppelsaal des ICC Hannover 2017. Ca. 1200 Pastorinnen und Pastoren verleben einen Tag mit Referat, Gruppenarbeiten, meet & greet, was man so macht in pastoraler Konferenzstärke. Zum Schluss, erwartbar, Gottesdienst. Liturgie mehr oder weniger nach Gottesdienstbuch, anständige Predigt einer Regionalbischöfin, aber dann zwei tiefe, für alle Beteiligten bewegende Einheiten.

 

Die erste Einheit ist eine Ordinationserinnerung. Jeweils zwei Ordinierte segnen einander und bestätigen ihre Ordination als Ruf (vocatio interna et externa), dem sie sich verpflichtet wissen. Eine beeindruckende Intensität an Zuwendung und geistlicher Kraft entsteht auf der Stelle. Die wenigen und evangelischerseits stets unvermeidlichen Kritiker stören dabei nicht. Die Hingabe überwiegt die gelegentliche Scham.

 

Die zweite Einheit ereignet sich bei der Einsetzung des Abendmahls. Rund 1000 Geistliche sprechen die Einsetzungsworte gemeinsam und erfahren sich dabei in dichter und gesammelter Weise als eine lebendige Einheit, als – bei allen diversen und differenzierten Positionen – eine Kirche, wie die Rückmeldungen nach dem Konvent belegen.

In beiden Einheiten spielt die empfangene Ordination die zentrale Rolle. Es ist die biographische, kirchliche und, wie es scheint, auch die existentielle differentia specifica, die in diesen Momenten greifbar und vernehmlich erlebt wird. Das Anders- und Besonderssein des Pfarrlebens erfährt Veranschaulichung und Vergewisserung. So beiläufig, theologisch begründet und gelegentlich bagatellisierend der Hinweis auf die selbstverständliche Nichtbesonderheit des evangelischen Pfarramtes auch vorgetragen wird, so stark erweist sich in solchen Momenten das Gegenteil. Die Ordination ist kostbar, wichtig und existentiell aktiv.

 

Das Pfarrerdienstgesetz der EKD formuliert das Ordinationsversprechen, das in den gliedkirchlichen Adaptionen mehr oder weniger ähnlich aufgenommen wird, wie folgt:

 

"Ich gelobe vor Gott, das Amt der öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung im Gehorsam gegen den dreieinigen Gott in Treue zu führen, das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und im Bekenntnis meiner Kirche bezeugt ist, rein zu lehren, die Sakramente ihrer Einsetzung gemäß zu verwalten, meinen Dienst nach den Ordnungen meiner Kirche auszuüben, das Beichtgeheimnis und die seelsorgliche Schweigepflicht zu wahren und mich in meiner Amts- und Lebensführung so zu verhalten, dass die glaubwürdige Ausübung des Amtes nicht beeinträchtigt wird".1

 

Auf dieses Versprechen hin wurden alle anwesenden ca. 1200 Männer und Frauen ordiniert, d.h. sie wurden berufen, beauftragt und in einen konkreten kirchlichen Dienst gesendet. Dass es sich dabei nicht nur um eine angelegentliche feierliche Stunde zum Dienstbeginn gehandelt hat, wurde an diesem Nachmittag vielen Teilnehmern aufs Neue bewusst. Die Ordination wird als kostbares Gut im pfarramtlichen Alltag und als cantus firmus der Berufsbiographie geradezu neu entdeckt. Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen heute Morgen in folgenden Abschnitten zu dem mir gestellten Thema „Ordination – Krise oder Chance“ Stellung nehmen:

 

1. Ein kurzer Blick auf die Anfänge

2. Ordination als kirchliches Amt: Die Elemente der Ordination

3. Zwischen Charisma und Amt – eine Unschärferelation

4. Risiken

5. Ordination als Vergewisserung

 

Zunächst (1): ein kurzer Blick auf die Anfänge

 

Die wenigen neutestamentlichen Belege geben zum Thema „Einsetzung“ bzw. Ordination kein konsistentes Bild bzw. zeigen lediglich eine Entwicklung an. Die Einsetzung der Diakone in Apg.63 oder von Presbytern in Tit.15 wird als Vorgang ohne Ritus berichtet; 1.Kor.1228 spricht von einer direkten Einsetzung durch Gott für Menschen mit besonderen Charismen im Dienst der Gemeinde; in den Pastoralbriefen werden erste explizite Ordinationshandlungen greifbar2. Diese Belege geben den ämtertheologischen Stand der Dinge in der dritten christlichen Generation wieder. Als religionsgeschichtliche Parallele für eine Ordinationshandlung kommt im Grunde nur die Ordination der jüdischen Rabbiner als Möglichkeit in Betracht.

Kurzum: Der neutestamentliche Befund liefert letztlich keine verwertbare Vorlage für eine Ordinationsagende, ja, nicht einmal für die Bestimmung des inhaltlichen Kerns der Ordination3. Die erste Christengeneration kannte keine christlichen oder sich auf Jesus berufende Priester, Ämter oder Strukturen4, sondern entwickelte in der prägenden Umwelt die Formen, die dem gemeinsamen Glauben eine Sprache und der Gemeinschaft des Glaubens eine Gestalt zu geben vermochten.

Zu Beginn wurde, so lässt sich aus den ersten Notizen zu Ordination“agenden“ aus dem 3. und 4. Jahrhundert entnehmen, die Ordination von Diakonen, Presbytern und Bischöfen mit der Wahl durch die Gemeinde verbunden. Diesen drei Ämtern war nach dem Bericht der Tradition apostolica5 von Hippolyt auch die Handauflegung vorbehalten. Eine ganze Reihe von weiteren Ämtern blieb bei der Einsetzung ohne diese rituelle Geste6. Eine „absolute“ Ordination, ohne Rückbindung an den konkreten Ort und die zugehörige Gemeinde, war jedenfalls unüblich7. Inwiefern Ordinationshandlungen in Ablauf und Schwerpunktsetzung auf eine Einsetzung durch Christus zurückzuführen und also sakramental zu verstehen seien, blieb Gegenstand einer lang andauernden Diskussion8.

Mit anderen Worten: Um was genau es sich bei der Ordination handelt und wie sie durchzuführen ist, lässt sich nicht einfach durch Rückgriff auf biblische Texte erheben, sondern muss ekklesiologisch geklärt und pastoral-persönlich angeeignet werden.

Eindeutig dürfte lediglich sein, dass eine explizite Form von Beauftragung zu einem spezifizierten kirchlichen bzw. gemeindlichen Dienst bereits in den Anfängen der christlichen Gemeinden greifbar ist. Ebenfalls unstrittig ist die Tatsache, dass von Anfang an das Gebet um göttlichen Beistand für die Ordinanden, die Handauflegung und die Bestimmung des Dienstes in der Berufungshandlung erwähnt werden.

 

(2) Schauen wir uns die einzelnen Elemente nun genauer an:

Die Ordinationshandlung, wie Sie in der uns vorliegenden Agende9 beschrieben ist, beinhaltet folgende Teile, deren Abfolge nicht in jedem Detail zwingend ist:

 

· Eröffnung durch Bitte um den Heiligen Geist

· Lesung aus dem biblischen Text

· Ordinationsversprechen

· Ordination

· Fürbitte

· Handauflegung und Segen

· Sendung

· Wort an die Gemeinde

 

Zunächst: Die Ordination wird grundsätzlich von einer kirchenleitenden bzw. dienstaufsichtlichen Instanz vorgenommen, um deutlich zu machen, dass das Pfarramt nicht der Gemeinde, selbstverständlich auch nicht den Ordinanden, sondern der Kirche gehört. Noch genauer: Dem Herrn der Kirche. Sie soll in einem ordentlichen Gottesdienst vollzogen werden, um die Gemeinde als Repräsentantin der Kirche, aber auch als konkreten Ort des Pfarrdienstes die Ordination in ihrer Beziehungsqualität nicht nur zum Stifter, sondern auch zu ihrem sozialen Ort beglaubigen zu lassen.

Mit der Bitte um den Beistand des Heiligen Geistes, in der Regel als Lied der Gemeinde in den Gottesdienstablauf dargestellt, kommt die Ordination gleich am Anfang zu einem der wichtigsten Elemente. Es handelt sich um die Bitte der Gemeinde, dass das, was zu dem bevorstehenden Ordinationsakt geführt hat, nämlich Bewerbung, Auswahl und Bestätigung durch die Kirche, der Gnade Gottes und dem Wirken des Geistes anheimgestellt wird. Damit wird der naheliegende Kurzschluss, dass die Gemeinde bzw. der Kirchenvorstand oder ein Landeskirchenamt sich seine oder ihre Pfarrperson ausgesucht habe, liturgisch aufgebrochen. Die Wahl ist das eine. Aber das Wirken des Geistes ist das andere. Dass die Wahl eben nicht nur formal korrekt gelungen oder menschlich geglückt ist, sondern in der leitenden, korrigierenden und förderlichen Gegenwart des Geistes Gottes stattgefunden hat, unterscheidet die Ordination von einem Dienstantritt in einem Betrieb.

 

Die anschließende Lesung aus den Texten der Heiligen Schrift nimmt das genuin reformatorische Anliegen der Verkündigung auf. Das zu verkündigende Wort hat zuerst diejenige Person zu hören, die es verkündigt. Auch das Pfarramt ist – wie die Kirche – eine creatura verbi. Und jede Predigt ebenfalls10. Die biblischen Verse haben nicht die Aufgabe, als Programm adressiert zu werden, sondern sie sollen den Zuspruch des Evangeliums für die Ordinanden in ihrer zukünftigen Aufgabe formulieren und zu Gehör bringen. Die Auswahl der Texte sollte so geschehen, dass sie nicht als Dienstanweisung oder Aufgabenliste zu stehen kommen, sondern das Pfarramt als evangelisches Amt „aus Gnade“ verstehen helfen.

Das Ordinationsversprechen im öffentlichen Gottesdienst ist durch das Gelöbnis, das zuvor im Ordinationsgespräch bei der ordinierenden Person abgelegt worden ist, zwar sachlich vorweggenommen, aber es wird nun öffentlich gemacht, vor Gott und Gemeinde. Die Öffentlichkeit ist dabei von besonderem Belang. Die Gemeinde ist Zeugin und zugleich Unterstützerin des Versprechens. Sie nimmt es nicht nur zur Kenntnis, sie bekräftigt es auch und bestätigt seine Geltung. Es handelt sich dabei um einen bemerkenswerten Vorgang. Die Ordinanden versprechen, sich mit ihrem ganzen Leben und zeit ihres ganzen Lebens für den Dienst in der Kirche und der Verkündigung des Evangeliums zur Verfügung zu stellen. Das ist ein ungewisser Wechsel auf die Zukunft, ebenso wie das Patenversprechen oder das Versprechen bei der Eheschließung. Das Risiko dieser Selbstverpflichtung wird umhüllt und geschützt vom Gebet der Gemeinde, das im Anschluss an die Ordination selbst erfolgt. Das unterschiedet das Ordinationsversprechen vom Amtseid.

 

Wie mit diesem Ordinationsversprechen umgegangen werden kann, dazu später mehr.

 

Die Ordination selbst erfolgt mit folgendem oder einem ähnlichen Wortlaut: „Im Gehorsam gegen den Auftrag, den der Herr seiner Kirche gegeben hat, und im Vertrauen auf seine Verheißung berufen wir dich zum Dienst im Amt der öffentlichen Verkündigung“. Es beruft die Kirche, nicht der Bischof oder irgendeine Dienstvorgesetzte: vocatio externa. Sie tut dies nicht aus eigener Einsicht und eigenem Willen, sondern im Gehorsam gegen Gottes Auftrag: CA V. Dabei ist das Vertrauen auf die Verheißung Gottes gem. Mt.2818-20 die stärkende und Gewissheit gebende Kraft im Vollzug der Ordination. Das Amt der öffentlichen Verkündigung gem. CA XIV seinerseits ist nach reformatorischem Verständnis gebunden an das Allgemeine Priestertum und stellt keinen besonderen Status der Ordinierten dar, sondern beschreibt ihren spezifischen Auftrag11. Es handelt sich auch nicht um eine magisch misszuverstehende Geistübertragung oder Verleihung von besonderen Geistesgaben. An keiner Stelle des Ordinationsablaufs wird der Geist performativ übertragen. Dies ist und bleibt Sache des Herrn der Kirche.

 

Die Nennung des Auftrages in der Ordination ist dabei übrigens keine Petitesse, sondern sie formuliert zugleich Gabe und Grenze des ordinierten Amtes. So allgemein die Zusage des Segens und des göttlichen Geleites im pfarramtlichen Dienst gehalten ist, so deutlich wird markiert, dass es nicht um operative Allzuständigkeit geht, sondern um eine spezifische, begrenzte Aufgabe.

 

Berufung, Beauftragung und Sendung sind kirchliche, geistgeleitete Vollzüge. Sie geben dem geistlichen Weg, der vocatio interna, der sich von der Entscheidung zu einem Theologiestudium samt den dahin führenden Erfahrungen über die Examina bis zur Bewerbung um ein Pfarramt erstreckt, eine gottesdienstliche und ausdrückliche Gestalt. Um ein Verkündiger bzw. eine Verkündigerin des Evangeliums zu werden, bedarf es nicht einer expliziten Berufung. Das ist eine unmittelbare Frucht des Glaubens. Aber als kirchliche Vollzüge geben sie einer spirituellen Entwicklung eine vernehmliche Gestalt.

 

Die an die Ordination anschließende Fürbitte ist ein weiteres, theologisch meist unterschätztes Element der Agende. Mit diesem Gebet werden die Ordinanden in die geistliche Obhut der Kirche und der Gemeinde überstellt. Die spezifische Aufgabe des Fürbittengebetes ist im Laufe der Kirchengeschichte und in den Konfessionen durchaus verschieden gedeutet worden: Als Bitte um die Talente und Fähigkeiten, die für die Ausübung des Amtes als nötig erachtet werden, aber auch als Bitte um eine besondere Form der Amtsgnade, die sich aus einem stärker sakramentalen Verständnis der Kirche und ihrer Ämter herleitet12. Wie weit und intensiv diese Aufgabe von der Gemeinde tatsächlich wahrgenommen wird, wird realistischerweise sehr unterschiedlich ausfallen. Entscheidend ist gleichwohl, wie das kirchliche Amt nach CA XIV seitens der Ordinierten wie auch der Kirchengemeinden angenommen wird. Die Berufsförmigkeit des kirchlichen Amtes, die sich in den Fragen nach Arbeitszeitbegrenzungen, Teilzeitstellen und arbeitsrechtlichen Regelungen Geltung verschafft, steht in einer nicht restlos aufzulösenden Spannung zu der Verfassung dieses Amtes als Gebetsanliegen der tragenden Gemeinde13.

Die Handauflegung und Segnung nach der Fürbitte stellt den am stärksten sichtbaren Teil der Ordinationshandlung dar. Das Knien der Ordinanden, die körperliche Berührung und die damit verbundene energetisch-dynamische Situation fügen die Beteiligten in eine besonders intensive und anschauliche Handlung zusammen. Neutestamentlich sind insbesondere die Heilungsberichte begleitet von Gesten der Handauflegung14 und damit verbundener Kraftübertragung. Von ihnen her hat die Handauflegung als Geste des Segens und der Übertragung Eingang in kirchliche Riten gefunden. Freilich ist die Auflegung der Hände „nur“ eine bekräftigende Geste, nicht der Kern der Ordinationshandlung. Und sie ist auch nicht das Mittel oder Medium der Geistverleihung, sondern Ausdruck der Verheißung, dass Gott sich zu dieser Gabe versprochen hat.

 

Zum Schluss der Ordinationsagende erfolgen die Sendung mit dem Friedensgruß und die Erinnerung der anwesenden Gemeinde an ihre Aufgabe, die nunmehr Ordinierten in ihre Fürbitte aufzunehmen und das Leitungsamt als kirchliches Amt nicht nur zu akzeptieren, sondern als Gabe für die Arbeit und das Leben zu pflegen und zu unterstützen.

 

(3) Unschärferelation: Auftrag – Charisma – Amt

 

Pfarramtlicher Dienst findet in einer Art kirchlichem Bermuda-Dreieck statt. Das kirchliche Amt ist rechtlich und rituell stark ausgestaltet und zeigt seit der konstantinischen Wende behördliche Strukturen. Die Ordination als kirchliche Berufung und Sendung stellt die Pfarrpersonen damit in eine Auseinandersetzung, die ein Arbeitsleben lang anhält. Es gilt dabei konkret, drei Aspekte zu orchestrieren, die stets zugleich wirksam sind und verschiedenen Logiken folgen.

Das ist zunächst die mit der Ordination gegebene kirchliche und gemeindliche Arbeitsstruktur des Pfarramtes. Was im Pfarrdienstrecht, der Kirchenverfassung und den zahlreichen anderen Gesetzen, Richtlinien und Durchführungsverordnungen zu lesen ist, steht nicht zur persönlichen Disposition, sondern ist von Amts wegen anzuwenden. Darüber wachen Synoden, Kirchenleitungen und Disziplinarkammern.

 

Sodan tritt der Bereich der persönlichen Talente und Begabungen hinzu. Es gibt keine spirituelle Ausstattung, die mit der Ordination vermittelt würde. So wie Paulus auch nach seiner Bekehrung ein Eiferer blieb, so wird aus einem cholerischen Menschen eine cholerische Pfarrperson, und aus einer trägen Arbeiterin wird in der Regel eine träge Pastorin. Gaben und Grenzen werden nicht aufgehoben oder abgestellt, sondern in das Pfarramt mitgenommen. Die Diversität der Biographien und die Standardisierung des Amtes bilden eine Friktionslinie, die ebenso unvermeidlich wie bereichernd ist. Der römische Ansatz, das Amt seinerseits zu sakramentalisieren, wird auf diesem Hintergrund als einheitsstiftendes Moment verständlich, löst das Problem aber nur theoretisch. Ehrlicherweise ist hinzuzufügen: Immerhin, wenigstens das.

 

Schließlich: Die konkrete Aufgabe des Pfarramtes in dem jeweils zugewiesenen Dienstzusammenhang markiert schließlich den dritten Aspekt: Die Eigenlogik der Realität, die sich weder aus den Strukturen des Amtes noch den charakterlichen und charismatischen Gegebenheiten der Pfarrpersonen ableiten lässt. Keine Dienstanweisung erfasst die Komplexität der lebensweltlichen Situation. Kein pastoraltheologisches Theorem bildet die Vielfalt der Problemlagen ab. Keine Pfarrperson ist auf alles gefasst, was ihr an Herausforderung entgegentritt.

 

Folglich gilt: Alles pfarramtliche Handeln ist unterkomplex. Die Tragweite unserer Handlungen ist stets kleiner als die Sichtweite unserer Urteile. Nur der Geist selbst führt in die Tiefen der Gottheit, wir haben uns mit den Bohrkernen unserer subjektiven Erfahrungen und unseren Wahrnehmungssplittern zurechtzufinden.

 

In dieser durchaus herausfordernden und nicht selten irritierenden Situation bildet nun die Ordination eine zentrale Orientierung. Bevor wir diese Aussage genauer untersuchen, noch ein kurzer Blick auf die Risiken der Ordination.

 

Risiken der Ordination (4)

 

Die Risiken der Ordination ergeben sich aus den naheliegenden Missverständnissen. Soweit ich sehe, gibt es deren fünf:

Erstes Missverständnis: Ordination als Weihe. Die römische und orthodoxe Ämtertheologie begreift die Ordination als einen sakramentalen Vorgang, in dem die Heiligkeit der Kirche auf deren Repräsentanten übertragen wird. Die Einzelheiten der Apostolischen Sukzession und der Entwicklung des Amtsverständnisses bis hin zum Vatikanum II seien für diese Erwägung einmal dahingestellt. Sakralisierungen von Hierarchien, Gottgegebenheiten von Dynastien und Fürstenhäusern, Apotheosen von Machthabern jeder Art gehören zu den anthropologischen Versuchungen jeder Epoche und jeder staatstragenden Kultureinrichtung. Anthropologisch haben diese Zuschreibungen ihre nachvollziehbare Logik. Die Verleihung eines character indelebilis15 bei der Ordination der Priester ist allerdings erst eine Festlegung des Hochmittelalters, die unter dem Druck der reformatorischen Attacken in den Konzilien von Trient und Rom systematisiert worden sind. Wo immer die Ordination als persönlich zugeeignetes Ausstattungsmerkmal verstanden und ausgewertet wird, verliert der Auftrag des Pfarramtes seinen Sinn. Man ist, um es in einem saloppen Ausdruck zu verwenden, nicht mehr im Auftrag des Herrn, sondern kraft göttlicher Teilhabe in seinem eigenen Interesse unterwegs. Die pfarramtlichen Entgleisungen in pfarrherrlichem und machtanfälligem Gehabe sind leicht vorstellbar.

Zweites Missverständnis: Bagatellisierung. Bagatellisierung kommt in fünf verschiedenen Formen zum Tragen: In (1) Selbstdistanzierung von der Kirche als der legitimierenden Basis, in (2) Verkumpelungen, um der mit der Berufung verbundenen Einsamkeit zu entgehen und die durch die Ordination aufgemachte Differenz einzuebnen, in (3) Gleichgültigkeit, meist in der Folge einer ausufernden Routine oder Überlastungssituationen. Gelegentlich (4) gibt es auch das Irrewerden an dem Sinn und der Verheißung, die am Beginn des Pfarrdienstes gestanden haben und durch den konkreten Verlauf des Arbeitslebens nicht eingelöst oder realisiert worden sind. Schließlich bedeutet (5) die Sicherheit einer Wirkungsgarantie im Kern nichts anderes als eine Bagatellisierung.

 

Im ersten Fall wird die Ordination als bloßes Epitheton missverstanden, als eine Dekorationselement, und die begründende Kirche auf ihre Funktion als Arbeitgeber reduziert. Der theologische Sinn von CA V als basaler Auftrag der Kirche geht verloren und damit die Legitimation der eigenen pfarramtlichen Existenz.

 

Verkumpelungen sind – zweitens – Verdrängungsverfahren. Anderssein ist mühsam. Andersseinsollen sogar riskant. Eine Bagatellisierung der Ordination soll den Anschluss an das soziale Feld erleichtern, steht aber gegen das brutum factum der Aufgabe, die mit der Ordination verbunden ist. Die Gleichgültigkeit im Zuge einer Überlastung ist möglicherweise die häufigste Bagtellisierung. Was wichtig sein soll, muss auch gepflegt werden. Schließlich ist das Irrewerden an der eigenen Berufung die tiefste Infragestellung der Ordination: Wozu die Hingabe, wenn daraus keine Wirkung erzielt werden kann?

Drittes Missverständnis: Spiritualisierung. Die Ordinationsformulare stellen mit Bedacht und Vorsatz Lebenswandel und Verkündigungsauftrag in einen direkten Zusammenhang. In einer homogen geschichteten oder gar ständisch organisierten Gesellschaft ist das eine wenig aufregende Feststellung. In einer individualistisch oder gar singularistisch ausgestalteten, arbeitsteiligen Gesellschaft gerät die Zusammenstellung hingegen unter Druck. Die Aufforderung, sein Leben seinem Auftrag anzupassen, steht unter dem Verdacht, eher Nötigung denn notwendig zu sein, als gewaltsamer Übergriff in die autonome Lebensgestaltung zu erscheinen und der funktionalen Beschreibung des Pfarramtes eine unzulässige Reglementierung zu oktroyieren. Das ist insofern ein Missverständnis, als das die Ordination keine ethische Kasuistik im Sinn hat, sondern darauf verpflichtet, Leben und Verkündigung beieinander zu halten. Es handelt sich im Kern um eine inkarnatorische Figur, die hier zum Tragen kommt: Was nicht realitätsfähig ist, wird auf Dauer auch nicht glaubwürdig sein. Wenn geistliche Arbeit und geschichtliche Existenz auseinanderfallen, ist das zum Schaden aller.

 

Viertes Missverständnis: Ordination als Abgrenzungsbegriff. Die Diskussionen um die Stellung der Prädikanten- und Lektorenarbeit kreisen trotz der Klarstellungen in „Ordnungsgemäß berufen“ nach wie vor um die Bestimmung des Unterschiedes, den die Ordination im Gegensatz zur ordnungsgemäßen Berufung macht. Soweit ich sehen kann, sind diesbezüglich sowohl formale als auch theologische Kriterien hinreichend formuliert16. Die Inanspruchnahme der Ordination als Abgrenzungsinstrument ist dabei grundsätzlich deswegen heikel, weil sie Gefahr läuft, die Differenzen in der Aufgabe als Hierarchien im Dienstgefüge der Kirche auszuwerten. Was als Gabe anvertraut worden ist, würde dann als Waffe genutzt. Die damit verbundene polemische Energie geht dem Auftrag und damit der Kirche verloren.

Fünftes Missverständnis: Wirkungsgarantie. Natürlich ist – unter heutigen Bedingungen – jedem vernünftigen Menschen klar, dass mit der Ordination nicht das Reich Gottes gewonnen ist. Weder ist der pfarramtliche Erfolg in Gestalt von Gottesdienstzulauf, Taufquoten und Fundraisingvolumina gesichert noch eine stabile Lebenslinie in Aussicht gestellt. Aber die Versuchung, mit der Ordination einen Anspruch zu verbinden, wenigstens ein kleines Moment mehr Aufmerksamkeit, Berücksichtigung, Wahrnehmung und Anerkennung zu erhalten, ist nicht gering. Nein, die Ordination ist auch kein Selbstwertsteigerungsinstrument.

 

Zum Schluss (5): Ordination als Vergewisserung

 

Inwiefern aber ist nun die Ordination, um endlich zum Titel des heutigen Morgens zu kommen, eine Chance? Dazu möchte ich Ihnen im folgenden drei Vorschläge machen:

 

I. Inkarnatorisch glauben. Gott handelt nicht direkt an uns, sondern durch Menschen, Situationen, geschichtliche Ereignisse. Die Reformatoren haben mit dieser Haltung gegenüber allen geistunmittelbaren Bewegungen eine wichtige Leitlinie formuliert. Deswegen hängt zwar nicht alles, aber Entscheidendes daran, wie wir selbst, als Ordinierte, mit unserer Ordination umgehen. Die lutherische Ekklesiologie verbietet einen objektivistischen Zugang und stellt es dem Glauben des Ordinanden anheim, ob und wie er die Berufung in das Pfarramt verstehen und aufnehmen will. Das macht die Sache zugegebenermaßen schwerer, aber ehrlicher.

 

Ich will es an einigen Leitfragen verdeutlichen:

 

1. Glaube ich, unerachtet der empirischen Vorfindlichkeit der Kirche mit all ihren Gebrechen, Zumutungen und Vertretern, dass Gott mich gerufen, ausgerüstet und bestimmt hat, sein Evangelium zu verkündigen, zur Zeit und zur Unzeit?

2. Glaube ich, dass Gott durch mich handelt, zum Segen für die Menschheit, zum Zeugnis seiner Liebe und zum Gedeihen seiner Kirche?

3. Glaube ich, dass es nicht an mir, meinen Möglichkeiten und Grenzen liegt, was an Frucht meiner Arbeit und meines Dienstes am Ende zu stehen kommt, sondern an ihm? Und glaube ich, dass das genug ist?

4. Glaube ich, dass die Verheißungen Gottes, wie sie uns in den Schriften des Alten und Neuen Testaments gegeben sind, mir gelten und meiner Gemeinde, meinem Dienst und meiner Kirche?

5. Glaube ich, dass das Datum meiner Ordination, der Ort, die Gemeinde, der Ordinator oder Ordinatorin, mein Ordinationsspruch und die mir ausgehändigte Ordinationsbibel verlässliche Zeugen und Haltepunkte meiner Berufung sind?

6. Habe ich einen Menschen und Möglichkeiten für den Fall, dass ich all das nicht mehr oder kaum noch glauben kann, mit dem ich mich orientieren kann?

 

Diese Fragen leiten auf eine Haltung hin, die für die Deutung der Ordination als Chance begriffen werden kann: Darauf zu vertrauen, dass Gott in seiner Kirche, in den Gemeinden, in mir und in der Welt handelt. Es geht in alledem nicht um mich, aber an der Stelle, an der ich stehe, kommt es auf mich an.

In diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung. Ich wurde gebeten, ein Wort darüber zu sagen, wie von kirchenleitender Seite die Ordination verstanden wird. Nun, theologisch liegen die Dinge einigermaßen klar und sind nachlesbar in den entsprechenden Gesetzen, Verlautbarungen und Publikationen vor. Die Kirchenleitungen gehen im Allgemeinen zurückhaltend mit der Zusage der Ordination um. Sie ist an klare Bedingungen geknüpft. Ordinationen, die an vergleichbare Bedingungen in anderen Kirchen und Glaubensgemeinschaften gebunden sind, werden deswegen anerkannt. Auch aufgrund der schlichten theologischen Überzeugung, dass der verheißene Geist und Segen, der in einer Ordination ausgesprochen und zugesagt ist, bei Überschreitung von Landeskirchengrenzen nicht seine Bedeutung und Wirksamkeit verliert. Wir teilen damit nicht nur Bedingungen, sondern auch Vertrauen in Gottes Zusagen. Aber sie wird kostbar gehalten, „sparsam“ verteilt.

 

Freilich, die Ordinationsgepflogenheiten in den verschiedenen Landeskirchen weichen in einigen Punkten voneinander ab. Das ändert nichts daran, dass die Ordination für alle reformatorischen keine sakramentale Einrichtung darstellt, sondern eine Zuspitzung des allgemeinen Priestertums ist und von ihrem systematischen Ort der Ekklesiologie zugehört, nicht der Soteriologie geschweige denn der Christologie.

 

II. An der Berufung arbeiten. Pfarrpersonen werden in das Amt der Verkündigung ordiniert. Das betrifft Wortverkündigung und Sakramentsspendung. Umfasst in der täglichen Praxis allerdings auch all die anderen Elemente des Pfarrdienstes, auf die man nicht ordiniert und für die man in der Regel auch unzureichend vorbereitet ist. Die Ordination ist, was ihre Präzision anlangt, eher ungenau. Einfach gesagt: Die vocatio externa steht urkundlich fixiert fest, an der vocatio interna muss gearbeitet werden, damit sie nicht verkommt. Es ist wie beim zweiten Hauptsatz der Thermodynamik: Alles, worum man sich nicht kümmert und jeder Lebensbereich, in den man keine Energie steckt, verödet im Lauf der Zeit.

Deswegen, erstens, ist an der inhaltlichen Kontur der Berufung zu arbeiten. Das bedeutet, dass die Gaben und Grenzen der eigenen geistigen, mentalen und körperlichen Ausstattung nicht nur im Allgemeinen gepflegt, sondern auch differenziert wahrgenommen werden wollen. Um es wieder in Impulsfragen zu kleiden:

1. Was gelingt mir leicht, was kostet mich Kraft? Und: Warum?

2. Was möchte ich gerne tun, komme aber wegen äußerer oder innerer Hemmnisse nicht zur Umsetzung?

3. Was blockiert mich oder macht mich traurig, was verleiht mir Kraft?

4. Wer ist die Person, die mir – jenseits von dienstaufsichtlichen Befugnissen – Rat und Korrektur zukommen lassen darf?

5. Was ist mein ehrliches Anliegen in der Verkündigung?

Zweitens verändern sich im Laufe der Jahre Glaubens- und Lebensperspektive durch innere und äußere Prozesse. Die Wechselfälle des Lebens sind Impulse, in denen nicht nur Schicksalstreffer positiver oder negativer Art verarbeitet werden, sondern in denen auch die Berufung neu gefasst und justiert werden muss. Auch hier wieder einige Impulsfragen:

1. Was treibt mich in meinem beruflichen Alltag jenseits dienstlicher Selbstverständlichkeiten an?

2. Was ist in den vergangenen zehn Jahren innerlich mit mir geschehen?

3. Wie beschreibe ich den derzeitigen Stand meiner Beziehung zur Kirche, zum Glauben und zu Gott?

4. Was möchte ich daran ändern, und woran möchte ich festhalten?

5. Welche Erwartung hege ich, wenn Gott mir einen Wunsch zur Erfüllung freigeben würde?

Und drittens gehört zur Arbeit an der eigenen Berufung die Erkundung der eigenen Wirkung auf die Umgebung. Dabei geht es weniger um die mehr oder minder ausreichende Feedback – Ergebnisse, sondern um eine ehrliche Bestandsaufnahme. Wenn es gut geht, kann das durchaus im Bereich der ordentlichen visitatorischen Vorgänge geschehen – Jahresgespräche, Perspektivgespräche, Dienstbesprechungen und derlei. Es hängt vom Grad gegenseitigen Vertrauens ab, was wir uns sagen können und was nicht. Aber um Selbst- und Fremdwahrnehmung in fruchtbarer Weise aufeinander beziehen zu können, bedarf es der nüchternen und redlichen Bestandsaufnahme des eigenen Wirkungsfeldes.

 

III. Nicht an Haltungen arbeiten, sondern Verheißungen ernstnehmen. Die Haltung ist gerade ein Begriff, der neu in den Wortschatz der Weltverbesserer eingedrungen ist. Unmengen an Haltungsherausforderungen werden genannt: Ökologische Haltung, nichtdiskriminierende Haltungen, Achtsamkeit, Fehlerfreundlichkeit usw. Das Pfarramt ist eine wohlfeile Projektionsfläche, diese angesagten Haltungen nun auch vorbildlich zu inkorporieren. Widersprüchlich, wie sie nun einmal sind, rufen diese Haltungen positionelle Kämpfe hervor, die denen im gesellschaftlichen Umfeld aufs Haar gleichen. Haltungen sind weltanschauliche Verdichtungen von gelegentlich hochproblematischer Funktion.

 

Ich habe den Eindruck, die Ordination leitet uns an, in den Pfarrämtern weniger an der Realisierung von angesagten Haltungen zu laborieren, als die Verheißungen ernstzunehmen, die uns gesagt sind:

 

· Salz der Erde sein.

· Licht der Welt.

· Friedensstifter.

· Kinder Gottes.

· Orte der Barmherzigkeit. 

· Hüter der Wahrheit.

· Haushälter über göttliche Geheimnisse.

 

Und was dergleichen Zuschreibungen mehr sind. Das hat den Vorteil, dass man sich nicht in den Abgründen eigener Unzulänglichkeiten verkämpft, sondern den Blick auf den Herrn der Kirche lenkt. Die Ordination hilft einem diese Verheißungen wieder vor Augen zu bekommen und, wo nötig, sich nicht von den andrängenden Herausforderungen aus der inneren oder der äußeren Welt niederringen zu lassen.

 

· Helmut Aßmann ist Oberkirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Er ist dort zuständig für theologische Ausbildung und berufliche Fort– und Weiterbildung.