Die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB) – eine Begegnung

 

Dagmar Kunellis

 

In jedem Jahr Ende Januar lädt die Pfarrerschaft der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder  sämtliche Kolleginnen und Kollegen sowie alle, die im Verkündigungsdienst der Kirche aktiv sind, zur jährlichen Pfarrkonferenz nach Prag ein. Das mehrtägige Treffen dient dabei nicht nur dem kollegialen Austausch, sondern bietet auch jeweils die Auseinandersetzung mit einem aktuellen Schwerpunktthema. Dieses wird von namhaften Professoren und Referentinnen auch aus dem Ausland von möglichst vielen Seiten beleuchtet und zur Diskussion gestellt.

 

Im Januar 2023 waren wir vom Rheinischen Pfarrverein herzlich zur diesjährigen Pfarrkonferenz eingeladen und hatten so die Gelegenheit der Begegnung mit einer zwar kleinen, aber sehr lebendigen und aktiven evangelischen Kirche im Herzen Europas.

 

Das Thema der Konferenz lautete: „Ein neuer Himmel und eine neue Erde (Offbg. 21,1) – Wie uns der christliche Glaube für die ökologische Krise ausrüsten kann.“

 

Zur Geschichte der EKBB

 

Die EKBB blickt zurück auf eine lange und traditionsreiche Geschichte, die das Erbe sowohl der böhmischen als auch der europäischen Reformation aufnimmt. Nicht ohne Stolz verweisen die tschechischen Geschwister darauf, dass ihre Kirche ihren Ursprung hat in der Reformationsbewegung des 15. Jahrhunderts, die vor allem von Jan Hus vorangetrieben wurde. In Tschechien wird deshalb auch von der

1. Reformation gesprochen, während die Reformation Martin Luthers und seiner Mitstreiter im 16. Jahrhundert als die 2. Reformation gilt. Tatsächlich weist die Reformation in den böhmischen Ländern 100 Jahre vor Martin Luther bereits wesentliche Elemente auf, die später auch für Luther bestimmend waren: Die Predigt in der Landessprache, das Abendmahl in beiderlei Gestalt, die Beseitigung von Missständen in der Priesterschaft, Stärkung der Laien, die Reform und Wiederbelebung der Landessprache, die in Böhmen und Mähren schließlich verbunden war mit der Herausgabe einer eigenen Bibelübersetzung (Kralitzer Bibel, 1579-1594).

 

Bereits im Jahr 1414 wurde in der romanischen Kirche „Sankt Martin in der Mauer“ in Prag das Abendmahl in beiderlei Gestalt ausgeteilt. (In dieser traditionsreichen Kirche trafen wir uns am ersten Abend zum Eröffnungsgottesdienst der Konferenz.)

 

Nachdem Jan Hus auf dem Konzil in Konstanz 1415 den Tod als Ketzer erlitten hatte, und nachdem die durch seinen Tod ausgelösten hussitischen Revolutionskämpfe ihr Ende gefunden hatten, fand sich der gemäßigte Flügel der Hussiten 1457 zusammen und gründete die Brüder-Unität. Diese hatte ihr Zentrum in Mähren, dort entstand neben vielen weiteren Schriften auch die oben erwähnte Kralitzer Bibel.

 

Die lange und friedliche Phase endete jedoch im 30-jährigen Krieg mit der verlorenen Schlacht am Weißen Berg bei Prag 1620,nicht nur die Brüder-Unität verlor ihre Religionsfreiheit. Die Herrschaft der Habsburger brachte eine strenge Rekatholisierung mit sich, die sich auch sichtbar in der Baugeschichte Tschechiens widerspiegelt. Die Zwangskatholisierung führte zu einer großen Fluchtbewegung des protestantischen Adels und zur Gründung neuer Gemeinschaften im Ausland (z.B. in Herrenhut). Die einfache Landbevölkerung, die nicht fliehen konnte, wurde gezwungen, den katholischen Glauben anzunehmen. Allerdings trafen sich auch weiterhin evangelische Gruppen heimlich. Mit dem Toleranzpatent von 1781 wurden in Böhmen, Mähren und Schlesien wieder drei nicht-katholische Bekenntnisse erlaubt: das evangelisch-reformierte, das evangelisch-lutherische und das griechisch-orthodoxe. Die evangelischen Christen, die sich bisher heimlich getroffen hatten, konnten sich nun einem dieser beiden Bekenntnisse anschließen. So entstanden zwei protestantische Kirchen, die sich erst im Dezember 1918, kurz nach der Gründung der unabhängigen Tschechoslowakei, zu einer unierten Kirche zusammenschlossen – die Geburtsstunde der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder.

 

Die Übernahme der Regierung in der Tschechoslowakei durch die Kommunisten im Jahr 1948 führte zu großen Spannungen innerhalb der evangelischen Kirche. Es gab auf der einen Seite etliche Gläubige, die zum Teil mit großer Tapferkeit und Mut versuchten, sich gegen Menschenrechtsverletzungen und die Einschränkung der Religionsfreiheit zu wehren, auf der anderen Seite gab es andere, die sich bemühten, sich so gut wie möglich mit dem Regime und der Situation zu arrangieren. Die internen Verletzungen, die in dieser Zeit entstanden, sind zum Teil bis heute spürbar.

 

Erst die „samtene Revolution“ im Jahr 1989 gab der EKBB die ersehnte Freiheit, sie brachte aber auch neue Aufgaben und Herausforderungen für die Kirche.

 

Die EKBB heute

 

Die EKBB ist aktiv in der gesamte Tschechoslowakischen Republik. Außerdem gibt es weitere tschechische evangelische Gemeinden in der Ukraine, in Polen, in Serbien, in Kroatien und Rumänien. Für ihre Betreuung ist jeweils ein Pfarrer oder eine Pfarrerin abgeordnet.

 

Die EKBB hat nach Angaben des aktuellen „Evangelischen Kalenders 2023“ zurzeit ca. 60.800 Gemeindeglieder, die sich auf 242 Gemeinden aufteilen. Die Gemeinden einer Region bilden ein Seniorat (insgesamt hat die EKBB 13 Seniorate, dazu kommt als 14. das Herrnhuter Seniorat). Die Größe der Gemeinden variiert stark, während die meisten Gemeinden mehrere hundert Mitglieder haben, gibt es zahlreiche Gemeinden, die weit weniger als 100 Gemeindeglieder zählen. Viele Gemeinden unterhalten neben einer Kirche oder einer großen Versammlungsstätte noch einen zusätzlichen Predigtstandort. In der EKBB werden auch Laien für den Verkündigungsdienst ordiniert. 

 

Die Gesamtkirchenleitung hat der Synodalrat, der sich aus drei Laien und drei Geistlichen zusammensetzt. Er hat seinen Sitz in Prag.

 

Wie auch in der EKiR bildet die Ortsgemeinde die Basis, sie wird von einem Ältestenrat, ähnlich unserem Presbyterium, geleitet. Vertreten wird die Gemeinde von einem Laien (Kurator/in) und einem Pfarrer oder einer Pfarrerin.

 

Bereits seit dem Jahr 1953 gibt es in der EKBB die Frauenordination.

Die Tschechische Republik mit ca. 10,5 Millionen Einwohnern ist eines der am stärksten säkularisierten Länder Europas. Die EKBB bildet daher, wie auch alle übrigen Kirchen im Land, eine kleine Minderheit. Die Kirche mit den meisten Mitgliedern ist die römisch-katholische Kirche.

 

Die EKBB ist seit den 1990er Jahren verstärkt in der Diakonie tätig, zurzeit konzentrieren sich viele Kräfte auf die Betreuung ukrainischer Geflüchteter. Neben dem Dienst in der Gemeinde sind Geistliche auch als Seelsorger bei der Armee, im Gefängnis, in  Krankenhäusern und sozialen Einrichtungen tätig.

 

Ausbildungsstätte für die Theologen und Theologinnen ist die Evangelische Theologische Fakultät an der Karls-Universität Prag.

Die EKBB ist seit vielen Jahren Partnerkirche der Evangelischen Kirche im Rheinland.

 

Ein neuer Himmel und eine neue Erde – Die EKBB und ihre heutigen Herausforderungen (Pfarrkonferenz 23.-27.01.2023)

 

Wie alle anderen Kirchen in Europa beschäftigen sich auch die Kollegen und Kolleginnen und ihre kirchlichen Mitarbeitenden in der EKBB mit den Folgen der ökologischen Krise und wie ihr aus christlicher Sicht begegnet werden kann. Über den tschechischen Pfarrverein waren wir beide (Stephan Sticherling und Dagmar Kunellis) in der letzten Januarwoche 2023 eingeladen, an den Überlegungen und Diskussionen zu diesem Thema teilzuhaben. Die Pfarrkonferenz in Prag zeigte deutlich, dass die Kolleginnen und Kollegen sehr interessiert sind an einem ökumenischen und internationalen Diskurs zu aktuellen Themen. Überlagert war das ökologische Thema in diesem Jahr von dem brutalen Angriffskrieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Dies kam umso mehr zur Sprache, da auch eine Vertreterin der EKBB aus der Ukraine Teilnehmerin der Konferenz war. Sie bedankte sich in einem bewegenden Grußwort sehr ausdrücklich für alle Hilfe, die die Ukraine und vor allen Dingen geflüchtete Menschen aus den Kriegsgebieten zurzeit von der EKBB und ihrer Diakonie erhalten. Die Ukraine hat eine Grenze zur Slowakei, so dass über die Slowakei zahlreiche Geflüchtete auch in die Tschechische Republik gelangten und dort mit großer Herzlichkeit und großem Engagement von der Bevölkerung aufgenommen wurden. Viele Gemeinden nicht nur der EKBB gewähren geflüchteten Frauen und Kinder Unterkunft und Versorgung.

 

Die Pfarrkonferenz fand statt in der Aula der Pädagogischen Fakultät der Karls-Universität. Nach Morgengebet und eine halbstündigen Bibelarbeit gab es an jedem Tag mehrere Vorträge und Diskussionen.

 

Die Vorträge während der Konferenz deckten ein breites Spektrum des ökologischen Themas ab. Es ging um grüne Theologie (Trees van Monfoort, NL), philosophisch-theologische Ansätze, um der Krise zu begegnen (u.a. Jay McDaniel, USA), aber auch um ganz konkrete Ansätze, wie sie in der der katholischen Kirche in Tschechien zurzeit umgesetzt werden. Hier wurde uns die Initiative „Laudato si leben“ vorgestellt. Auch junge Menschen, die der EKBB eng verbunden sind, kamen mit ihren Ansätzen und Ideen zu Wort. In Workshops und bei Podiumsdiskussionen gab es für alle Teilnehmer die Möglichkeit, sich in die Diskussionen einzuschalten.

 

Für uns als ausländische Gäste – wir waren durchaus nicht die einzigen – gab es eine Einladung zum Abendessen mit dem Synodalrat sowie ein abendliches Jazz-Konzert in der Evangelischen Kirche in Prag-Smichov, zu dem alle Kursteilnehmer eingeladen waren.

 

Persönlich ist mir im Verlauf des Kurses immer wieder aufgefallen, wie versiert die tschechischen Kollegen und Kolleginnen die Abläufe nicht nur in der Moderation, sondern auch bei der Technik hervorragend im Griff hatten. Seien es die Referenten, die per Video in den Hörsaal dazu geschaltet wurden, sei es die simultane Übersetzung, die an jedem Kurstag angeboten wurde bis hin zu den Präsentationen während der Vorträge, alles lief wie am Schnürchen und ohne die Komplikationen, die uns nach meinem Gefühl hier in Deutschland ständig begleiten. Es war großartig zu erleben, wie eine kleine Kirche, in der dazu noch eine Sprache gesprochen wird, die nicht sehr weit verbreitet wird, die Hilfe der digitalen Technik nutzt, um sich mit vielen anderen über Grenzen hinweg zu vernetzen und auszutauschen.

 

Wir haben jedenfalls eine sehr gute Zeit mit den Kolleginnen und Kollegen in Prag verbracht. Unser besonderes Dankeschön geht an Pfarrerin Alzbeta Hanychová, mit der wir im Vorfeld alle Fragen zu unserer Anreise und Unterkunft klären konnten.

Unser Fazit ist, dass es sich auf jeden Fall lohnt, den Kontakt zu EKBB weiterhin zu pflegen. Und es wäre natürlich besonders schön, wenn beim nächsten Mal nicht nur wir alten Ruheständler den Kontakt weiterführen, sondern wenn sich jüngere Kollegen oder Kolleginnen finden, die Interesse an einem spannenden und lebendigen Austausch haben.

 

In diesem Sinne: Ahoj a na shledanou v Praze!