Bericht des Vorsitzenden

auf der Mitgliederversammlung des Pfarrvereins am 7. November 2022 in Bonn

Friedhelm Maurer

 

Die Welt braucht christliche Werte. Vielleicht wie noch nie zuvor in der Geschichte. Sie braucht eine Kirche, die diese Werte verkündigt und lebt. 

 

Sie braucht die Volkskirche als eine Kirche für alles Volk. 

 

Die Welt im Jahr 2022 ist schwer gezeichnet durch Großkrisen: Krieg in Europa durch Russlands völkerrechtswidrigen und brutalen Angriff auf die Ukraine, mit der drohenden Gefahr weiterer Eskalation bis hin zum Einsatz von Atomwaffen. 

Der wunderschöne Herbsttag, den wir heute hier in Bonn erleben, mag uns einen Moment vergessen lassen, dass wir uns in einer Zeit „apokalyptischer Verdüsterung“ befinden, um es mit den Worten unseres Referenten von heute Vormittag zu sagen. Ich darf uns diese Besinnung nicht ersparen, bevor ich dann zum „Tagesgeschäft“ unseres Vereins komme. 

 

Infolge des unsäglichen Krieges gibt es eine wieder angespannte Flüchtlingssituation, es herrschen Energieknappheit, Teuerung und Inflation.  

 

Und noch immer kein Ende der Pandemie, wieder steigende Corona-Zahlen, Long Covid Erkrankungen, die Sorge vor dem Ausbruch weiterer Epidemien, die die Menschheit schwer in den Griff bekommen kann. 

Unmöglich zu vergessen: Der fortschreitende Klimawandel. Die Mega-Krise mit Extremwetterlagen, mit Dürren einerseits und Flutkatastrophen andererseits. 

 

Weltweit das Ringen um Ressourcen, vor allem um sauberes Wasser. Rohstoffe für die Industrie werden knapp, solche, die gerade auch für den Ausbau der Digitalisierung benötigt werden. 

 

Die Überbevölkerung des Planeten schreitet voran, auf dem jetzt knapp 8.000 Millionen Menschen leben. Die Schere von arm und reich geht weiter auseinander. Neue Hungersnöte und Nöte in der medizinischen Versorgung sind zu beklagen.  

 

Und auch das ist Grund zur Besorgnis: Auf dieser Erde leben zur Zeit mehr Menschen in autokratischen, von egoistischen und gewalttätigen Diktatoren dominierten Systemen, mehr als in liberalen, demokratischen Staaten. Seit Jahren ist die Demokratie weltweit auf dem Rückzug. Die verbliebenen demokratischen Staaten müssen sich, ihre Werte und Interessen, jetzt entschlossener verteidigen als bislang, sonst ist es mit der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit vorbei. 

 

Russlands Aggression gegen die Ukraine mit all den Kriegsverbrechen, die schon ans Licht gekommen sind, bedeutet einen Zivilisationsbruch. Die Sicherheitsinteressen von souveränen Staaten, die weiterhin ein Leben in Demokratie unter der Geltung von Recht und Freiheit leben wollen, müssen neu in den Blick kommen.  In der Charta der UN sind die Dinge klar, aber wie geht die Weltgemeinschaft damit um, wenn ein Teil von ihr, das auch noch im UN-Sicherheitsrat vertreten ist, das Völkerrecht missachtet? An dem Kampf für eine regelbasierte gegen eine machtbasierte Weltordnung, und das heißt, am Kampf gegen Gewalt und Chaos kommen wir nicht vorbei. 

 

Mit den Gefährdungen von außen nicht genug: In westlichen Demokratien spielt sich ein zusehends unversöhnlich geführter Kulturkampf zwischen Linken und Rechten, Progressiven und Konservativen, Liberalen und Identitären ab, bei dem leider oft genug Populisten die Wahlen gewinnen. Bislang stabile Demokratien sind ernsthaft gefährdet, wie das Beispiel der USA zeigt. 

 

Nun muss dieser Kampf auch noch in einer total verschuldeten Welt gekämpft werden: Wenn wir weltweit die Staatsschulden und die privaten Schulden summieren, liegen wir in diesem Jahr 2022 bei weit über 300 Billionen Dollar. Wenn die Zinsen nur um einen Prozentpunkt steigen, bedeutet das, dass drei Billionen Dollar mehr an Zinszahlungen aufgebracht werden müssen, die schlicht nicht geleistet werden können. Das heißt in der Konsequenz: über Inflation, die höher liegt als die Zinsen, wird die Entschuldung laufen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb auch unser Staat mit „Bazooka“ und „Wumms“ Milliarden an neuen Schulden raushaut: was sind schon die gerade verkündeten 200 Milliarden Euro in Relation zu 300.000 Milliarden Dollar? 

 

In seiner Rede zur Lage der Nation am 28.Oktober 2022 sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht nur von einer Zeitenwende, sondern von einem Epochenbruch. Die guten Jahre seien vorbei, es kämen harte und rauhe Jahre auf uns zu, viel Gegenwind. 

 

Ein großes Problem in unserem Land, das nun aber nicht schnell mit Geld zu lösen ist, ist der Fachkräftemangel. Wohin wir schauen, ob im Gesundheitswesen oder im Handwerk, überall fehlt qualifiziertes Personal. Auch in Bereichen, wo weniger lange Ausbildungen und keine besonderen Qualifikationen gefordert werden, fehlt das Personal, ob in der Gastronomie oder im Hotelgewerbe, ob bei Busunternehmen oder an Flughäfen. Merkwürdig dabei ist aber, dass es bei zur Zeit 1,7 Millionen vakanten Arbeitsplätzen immer noch 1,6 Millionen gemeldete Arbeitslose gibt … Wo liegen die Probleme? 

Damit komme ich zu dem Thema, das uns im Pfarrverein beschäftigen muss, und ich will von unserem Fachpersonalmangel in der Kirche sprechen. 

 

Vor vierzehn Tagen wurde ich von IDEA um eine Stellungnahme zur Frage gebeten, ob die evangelischen Landeskirchen angesichts des drohenden Pfarrerinnen- und Pfarrermangels auch Absolventen freier evangelikaler Hochschulen als Pfarrer anstellen sollen - angesichts der Entwicklung, dass in den nächsten zehn Jahren rund 30 – 40 % der Pfarrerinnen und Pfarrer in den Ruhestand treten werden, so dass nicht einmal die durch Pfarrstellenabbau stark reduzierten Stellen besetzt werden können (vgl. IDEA vom 26.10.2022, S.15). 

 

Die Gefahr besteht, dass angesichts dieses sich verschärfenden Personalmangels vom hohen Ausbildungsanspruch des Theologiestudiums an staatlichen Universitäten und kirchlichen Hochschulen abgerückt wird. Schon seit Jahren meint man ja in Kirchenleitungen und auf Synoden, das Problem, das sich unter anderem im Ausfall von immer noch mehr Gottesdiensten zeigt, durch mehr Laienprediger- und predigerinnen lösen zu können. An die Öffnung des Pfarrberufes für Absolventen freier evangelikaler Hochschulen wurde weniger gedacht. 

 

Die Personalpolitik der letzten Jahrzehnte, wenn ich nur auf unsere Evangelische Kirche im Rheinland schaue, war - gelinde ausgedrückt – wenig vorausschauend. 

 

Eine Erinnerung an das Kapitel „Entlassung aus dem Sonderdienst“ mag genügen. 

 

Viele Maßnahmen haben junge Menschen, die sich für ein Theologiestudium interessierten, verunsichert und von einer Ausbildung zum Pfarrberuf zurückschrecken lassen. Ich kenne genug Beispiele, Sie wohl auch. 

 

Was hat Kirchenleitungen geritten, „Assessments“ einzuführen? Nach den hohen Anforderungen eines Ersten und Zweiten Theologischen Examens noch ein Zulassungsverfahren einzuführen, mit dessen Bestehen erst die Anstellungsfähigkeit erteilt und damit auch erst eine Bewerbung auf eine Pfarrstelle ermöglicht wird? Neben dieser Verunsicherung für junge Menschen, am Ende eines langen Ausbildungsweges noch durch den Flaschenhals einer Jury-Entscheidung am Bewerbungstag zu müssen, bedeutet dieses Verfahren neben der subtilen Geringschätzung der beiden Examina auch eine Bevormundung der Gemeinden, deren Wahlmöglichkeiten man durch diese Vorab-Selektion erheblich einschränkt. Zur Problematik insgesamt und zu den oft dilettantischen Bewertungsprozeduren habe ich in meinem Aufsatz „Auswahl- und Bewerbungsverfahren in der Evangelischen Kirche im Rheinland. Das Pfarrbild, die theologischen Häresien und die Übergriffigkeiten in kirchlichen Casting-Veranstaltungen“ detaillierte Ausführungen gemacht (in: Gisela Kittel / Eberhard Mechels (Hg.): Kirche der Reformation? Erfahrungen mit dem Reformprozess und die Notwendigkeit der Umkehr, Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2016, S.252 – 267).  

 

Jetzt ist die Situation sehr schwierig, auf dem heiß umkämpften Markt um den Nachwuchs junge Menschen gerade für den Pfarrberuf gewinnen zu können. Das jahrelange Bashing von Pfarrerinnen und Pfarrer auf Synoden, die Sichtweise, sie nur als „Kostenfaktoren“ zu sehen, auf die man über Stellenabbau schnell Zugriff hat, die Geringschätzung von Theologie („Was braucht man die schon?“) gegenüber dem Hochloben von Unternehmensberatung und Organisationsentwicklung, die Konzentration auf die Qualitätssicherung bei der Verwaltung (verbunden mit erheblichem Stellenausbau) unter Vernachlässigung des Sich-Kümmerns um eine hohe Qualität der pfarramtlichen Versorgung der Gemeinden – das alles holt uns jetzt ein und macht die Verlegenheiten groß. Die sogenannten „Struktur- und Reformprozesse“, die mit viel Zeit- und Finanzaufwand betrieben wurden, sind weitgehend gescheitert. Dieses ehrliche Eingeständnis wird einigen viel Kraft und Überwindung abverlangen, bei vielen wird es leider auch ausbleiben. 

 

Soviel ist klar, das kann man auch bei der Fachkräfte-Suche in anderen Berufen beobachten: allein mehr Gehalt ist nicht das Entscheidende, sondern die sogenannten „weichen Faktoren“ sind jungen Menschen bei ihrer Berufs- und Arbeitsstellen-Entscheidung immer wichtiger. Vor allem sind ihnen geregelte und familiengerechte Arbeitszeiten wichtig. Die work-life-balance muss stimmen, d.h. es muss ein ausgewogenes Verhältnis sein zwischen beruflichen Anforderungen und privaten Bedürfnissen. 

 

Bei der Mitgliederversammlung des Verbandes der Pfarrvereine in Deutschland wurde am 26. 9. 2022 in Leipzig ein Votum zur Arbeitszeit im Pfarrdienst beschlossen, das zuvor ausgiebig – nach Vorlage eines Gutachtens von Prof. Dr. Christian Kirchberg, Karlsruhe, zu „Arbeitszeit und Arbeitsschutz im Pfarrdienst“ – in Sitzungen des Verbandsvorstandes und Konferenzen der Pfarrvertretungen und Pfarrvereine erarbeitet und besprochen worden ist. Darin fordert der Verband evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland die EKD auf, die im staatlichen Recht, insbesondere für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse, geltenden Arbeitsschutzbestimmungen auf den Pfarrdienst anzuwenden. Eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Aber die Realität zeigt ein anderes Bild: Trotz aller Beteuerungen wächst, vor allem bedingt durch weiteren Pfarrstellenabbau im Verbund mit Gemeindefusionen, die Arbeitsverdichtung im Pfarrberuf. Daher heißt es im Votum, ich zitiere den Wortlaut: „Der Pfarrdienst muss so gelebt und gestaltet werden können, dass Belange von Gesundheit, Familie und Erholung gewahrt bleiben. Dazu sind verbindliche Regelungen über Arbeitszeiten, dienstfreie Zeiten ohne Erreichbarkeitspflicht sowie über Ruhezeiten erforderlich. Die Einhaltung der Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes ist dabei zu beachten. Orientierungsrahmen sollen die beamtenrechtlichen Regelungen des Bundes oder der Länder zu den durchschnittlichen Wochenarbeitszeiten sein, je nachdem, welches Recht die jeweilige Gliedkirche anwendet. Dem Wesen des Pfarrdienstes entspricht eine Vertrauensarbeitszeit, die mit einer durchschnittlichen Wochenstundenzahl hinterlegt und mit einer Aufgabenplanung beschrieben wird. Bei häufiger oder dauerhafter Überschreitung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit muss der Umfang des Pfarrdienstes überprüft werden, um nach verbindlich vereinbarten Kriterien zu einem angemessenen Dienstumfang zu kommen.“ 

 

In der vom Rat der EKD neu berufenen Dienstrechtlichen Kommission, in der sich Pfarrerschaft und kirchliche Dienstgeber gegenübersitzen, wird nun das Thema zu verhandeln sein. Zu den sieben Vertreterinnen und Vertretern der Pfarrerschaft gehört auch Christoph Hüther, stellvertretender Vorsitzender der Rheinischen Pfarrvertretung und Mitglied unseres Pfarrvereins, der hier viel Kompetenz einbringen kann. Zu den acht Personen, die die kirchlichen Dienstgeber vertreten, gehört aus dem Rheinland Landeskirchenrätin Iris Döring. ebenfalls Mitglied unseres Pfarrvereins, was uns erfreuen darf. Ständiger Gast in dieser Kommission ist der vom Verbandsvorstand berufene und von der Mitgliederversammlung der Pfarrvereine in Leipzig am 26. September 2022 bestätigte neue Dienstrechtsberater des Verbandes, Oberlandeskirchenrat i.R. Dr. Rainer Obrock. Er war früher Personaldezernent der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und hat nun die Nachfolge von Herrn Oberkonsistorialrat i. R. Rainer Wilker angetreten, der sein Amt aus Altersgründen abgegeben hat. 

 

Die neu zusammengesetzte Dienstrechtliche Kommission hatte am 4. November ihre erste Sitzung. Ein dienstrechtlich fundamentales Thema ist und bleibt die Frage nach dem öffentlich-rechtlichen Status von Pfarrdienstverhältnissen, die immer wieder aufgeworfen wird. Auch hier wollen wir eine noch bessere Diskussionsgrundlage für weitere Gespräche gewinnen, deshalb hat sich die „Fuldaer Runde“, die gemeinsame Konferenz von Pfarrvereinen und Pfarrvertretungen, vorgenommen, das Thema auf die Tagesordnung der Konferenz am 20./21. 1. 2023 zu setzen. Noch gilt das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis als „Leitverhältnis“ in unserer Kirche, von dem die Regelungen bezüglich Dienstrecht, Besoldung, Beihilfe und Versorgung abgeleitet sind. Aber wird es auch so bleiben? Soll es so bleiben? Gerade aus Kirchenleitungen kommen Überlegungen, den öffentlich-rechtlichen Status durch einen Pfarrdienst im Angestelltenverhältnis zu ersetzen. Als sachkundiger juristischer Experte konnte wiederum Prof. Dr. Christian Kirchberg als Referent zu dieser Konferenz gewonnen werden. 

 

Ich habe die Hoffnung, dass sich die Dienstrechtliche Kommission auch mit der Eingabe von Dr. Hans-Gerd Krabbe beschäftigten wird. Hans-Gerd Krabbe ist Pfarrer i.R. in der Badischen Landeskirche und bei „D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der evangelischen Kirche “ engagiert (D.A.V.I.D. steht für Deeskalation, Aufklärung, Vertrauen, Intervention und Dokumentation). Er hat eine von verschiedenen Persönlichkeiten unterstützte Eingabe zur Überarbeitung der §§ 79 und 80 des Pfarrdienstgesetzes der EKD gemacht. Im Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt Nr.7 / 2022, ist ein Aufsatz von ihm erschienen mit dem Titel: „Die Konsequenzen tragen die Opfer. Mobbing und Unrecht in Kirche und Diakonie“ (S.403-406). 

 

Zu diesem Thema möchte ich ausdrücklich auf ein Buch hinweisen, das gerade erschienen ist, mit tatkräftiger, auch finanzieller Unterstützung unseres Evangelischen Pfarrvereins im Rheinland: „Geschichte der Versetzung von Geistlichen gegen ihren Willen“ von Hans-Eberhard Dietrich unter Mitwirkung von Gisela Kittel und Friedrich Reitzig. Nach mehr als einem Jahrzehnt seit der Neufassung des Pfarrdienstgesetzes auf EKD-Ebene (2010) wird das Thema „Ungedeihlichkeit“ bzw. „nachhaltige Störung“ wieder aufgegriffen, das Hans-Eberhard Dietrich bereits seit Jahren mit verschiedenen Aufsätzen im Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt immer wieder angesprochen hatte. Hier jetzt in der Gesamtschau, beginnend in der Reformationszeit. Mein Aufsatz in diesem Buch (S.408 - 447) beschäftigt sich vor allem mit der Rolle, die die Kirchenleitungen der Evangelischen Kirche im Rheinland in der Geschichte des Abberufungsparagraphen im Pfarrdienstrecht gespielt haben – vom Fall des Bekenntnispfarrers Paul Schneider in nationalsozialistischer Zeit bis zur Einführung des neuen Abberufungsparagraphen 84 (2) im Dienstrecht der EKU Mitte der 90iger Jahre. Die Initiative zu dieser Neuregelung, die ich für einen Dammbruch für die Unabhängigkeit im Pfarramt erachte, kam aus dem Rheinland. Gesetze fallen nicht vom Himmel, sie werden gemacht, leider oft aus kirchenpolitischen, um nicht zu sagen machtpolitschen Motiven heraus, die theologisch und damit kritisch zu hinterfragen sind.  

 

Viele, die heute Gesetze und Verordnungen machen, instrumentalisieren die Gesetzgebung für die Durchsetzung von Interessen, bis ins Detail versucht man zu steuern. Doch diese Reglementierungswut verletzt das hohe Gut, das eben auch Teil der Würde des Menschen ist: Die Freiheit. Wie aber heißt der stärkste Satz unseres Grundgesetzes doch: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Sie gilt es zu schützen mit jeder von diesem Satz letztendlich abzuleitenden Gesetzgebung. Als Pfarrverein und Pfarrverband aller Pfarrvereine in Deutschland verstehen wir uns als zuständig, uns für die berufsständischen und persönlichen Belange von Brüdern und Schwestern einzusetzen, und das vom Theologiestudium an über die weitere Ausbildung im Vorbereitungsdienst, über den Probedienst und aktiven Pfarrdienst, gleich in welchem Status, bis hin zum Ruhestand. 

 

So habe ich gerne auch die Einladung der Gemeinsamen Versorgungskasse für Pfarrer und Kirchenbeamte, kurz VKPB., zum Festakt anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens angenommen. Wegen Corona fand die Jubiläumsfeier in Dortmund erst ein Jahr später als geplant statt, am 15.August 2022. Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus hielt im Gottesdienst in der Reinoldi-Kirche eine eindrückliche Predigt zum Verhältnis von Evangelium und Ökonomie und den Voraussetzungen einer biblischen Wirtschaftsethik. Beim Festakt in den Räumlichkeiten des Westfälischen Industrieklubs Dortmund e.V. gab es verschiedene Grußworte, u.a. von Henning Boecker, dem Finanzdezernenten der EKiR und Vorsitzenden des Verwaltungsrates der VKPB. Die gemeinsame Versorgungskasse für Pfarrer und Kirchenbeamte wurde 1971 von den drei Landeskirchen Rheinland, Westfalen und Lippe gegründet. Das Erfolgsmodell der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse (KZVK) war damals bereits vorhanden, ebenso waren reichlich Kirchensteuermittel vorhanden. 2009 kam dann aber die Hiobsbotschaft, dass im Hinblick auf die Entwicklung der Zahl der Pfarrstellen und die steigende Lebenserwartung der Versorgungsanspruchsberechtigten eine gewaltige Unterdeckung vorhanden sei, um die Pensionsverpflichtungsleistungen auch bei den steigenden Pensionsempfängerzahlen erfüllen zu können. Entsprechende Maßnahmen wurden in den letzten Jahren ergriffen, sodass die Kapitaldeckung aktuell auf über 70 % gewachsen ist.   

 

Eine große Herausforderung bleibt auch die Ausfinanzierung der Beihilfe-Leistungen, da auch hier der Bedarf weiter steigt bei den steigenden Krankheitskosten sowohl bei Diagnostik als auch Behandlung. Bei der Anlage der Geldmittel der Versorgungskasse liegt die gegenwärtige Schwierigkeit in der Zinssituation. Die Zinsen sind niedrig, sodass das Geld kaum Erträge bringt, die wiederum durch die hohe Inflationsrate aufgezehrt werden. 10 % des Anlagevermögens ist inzwischen Beteiligungsvermögen, auch in „Start ups“ wird investiert. Diese 10 % bringen mehr Erträge als die 50 %, die in Zinspapieren angelegt sind. Die Kapitalanlage hat derzeit ein Volumen von ca. 4,3 Milliarden Euro, die Kapitalerträge liegen bei 230 Millionen Euro pro Jahr. Zentral bei der Anlage der VKPB ist das Thema Nachhaltigkeit. Ziel aller Mitarbeitenden der VKPB ist, dass sich Pfarrerinnen und Pfarrer, Kirchenbeamte und Kirchenbeamtinnen bei ihr „gut aufgehoben“ fühlen, gegenwärtig sind es über 8.300 Personen, 3.614 im aktiven Dienst und 4.699 Versorgungsempfänger/innen. 

Das Thema Versorgung ist mitnichten nur ein Thema für die Alten. Gerade die jungen Pfarrerinnen und Pfarrer sollten sich frühzeitig damit beschäftigen. 

 

Von daher freue ich mich, dass Jahr für Jahr auch der Versicherer im Raum der Kirchen (VRK) bei unserem Rheinischen Pfarrerinnen- und Pfarrertag mit einem Stand vertreten ist, an dem man sich beraten lassen kann im Hinblick auf das breite Versicherungsangebot und eben auch im Hinblick auf Möglichkeiten einer zusätzlichen, ergänzenden Altersvorsorge. Ich erinnere an dieser Stelle, dass wir eine gemeinsame Geschichte haben, dass die ehemalige „Bruderhilfe“ aus den Pfarrvereinen heraus entstanden, von ihnen gegründet worden ist. 

 

Es freut mich, dass der VRK in diesem Jahr personell stark vertreten ist: wir begrüßen herzlich Herrn Filialdirektor Frank-Michael Schumacher aus Essen,  sowie Herrn Edgar Jahn, den Agenturleiter aus Köln. Der Organisationsdirektor Maksim Scheid als Nachfolger des in den Ruhestand getretenen, uns von vielen Jahren seiner Präsenz hier im Uniclub vertrauten Martin Kahnt, wäre auch gekommen, ist aber gerade im wohlverdienten Urlaub. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank, lieber Herr Schumacher, dass Sie sich zusammen mit Herrn Scheid am 29. Juni diesen Jahres von Essen aus auf den weiten Weg nach Gemünden im Hunsrück gemacht haben, wo wir uns in unserem Gespräch vorgenommen haben, unsere Zusammenarbeit wieder zu intensivieren. Gerade in diesen schwierigen, unsicheren Zeiten tut eine Neubesinnung auf Solidarität und gemeinschaftliches Engagement gut, eine Verständigung auf die wichtigen und rational richtigen Maßnahmen, die zu ergreifen sind. 

 

Damit komme ich auf den Anfang meines Berichtes zurück und zu seinem Schluss. 

 

„Ende der Sicherheit“, so lautete das Motto des 76. Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrertages vom 26.-29. 9. 2022 in Leipzig. Als wir vor Jahren im Verbandsvorstand dieses Thema festlegten, gab es noch keine Corona-Pandemie und noch keinen Krieg Russlands gegen die Ukraine. Es gab noch nicht diese Zusammenballung und Zuspitzung von Krisen. Dr. Thomas de Maizière, Präsident des Evangelischen Kirchentages, der frühere Minister des Inneren und der Verteidigung, hielt in Leipzig den Hauptvortrag. Was früher als Gewissheit galt, erweise sich nun als Illusion, nämlich, dass der Frieden in Europa selbstverständlich sei, die Wohlstandsmehrung selbstverständlich sei, der Überfluss statt Mangel selbstverständlich sei, ja, dass es selbstverständlich sei, dass der deutsche Staat funktioniere. De Maizière unterteilte sein Referat in zwei Reden, die eine aus politischer, die andere aus christlicher Perspektive. Aus letzterer verstand er durchaus Mut zu machen: die Erde wird nicht untergehen, Gott habe seinen Bund mit uns Menschen geschlossen. Aber es gelte eben, Verantwortung zu übernehmen, das Gespräch zu suchen, um der „Stadt Bestes“ (Jeremia 29,7) zu erreichen. Er lud ein zum Kirchentag 2023 in Nürnberg, dem Forum für dieses Gespräch. 

 

Was mich bei diesem Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrertag beeindruckte, waren die Grußworte. Der Ministerpräsident von Sachsen persönlich war gekommen, Michael Kretschmer, der Oberbürgermeister von Leipzig, Burkhard Jung. Beide drückten ihre Bitte aus, dass die Kirche helfen möge, und ihre Hoffnung, dass sie auch helfen könne, dass unsere Gesellschaft in dieser Zeit der Krisen nicht auseinanderbreche.  

 

In Leipzig gehören nur noch 15 % der Einwohner einer der beiden großen Kirchen an. Kirche in der Minderheit. Müssen wir uns von der „Volkskirche“ verabschieden? Im August war im Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ ein Artikel zu lesen mit der Überschrift „Land der Gottlosen“: Erstmals seien kirchlich gebundene Christen in Deutschland in der Minderheit, ihr Anteil betrage nur noch 49,7 Prozent, 2020 lag er noch bei  51 Prozent (Nr.34 vom 20.8.2022, S.94-96).  

Stand 31.12.2021 gehörten 19,725 Millionen Menschen einer der 20 EKD-Gliedkirchen an, Ende 2020 lag die Zahl noch bei über 20,2 Millionen, ein Rückgang von 2,5 Prozent (in: IDEA, 9.3.2022) 

 

Im Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung, so heißt es im SPIEGEL-Beitrag weiter, werde das Christentum an keiner Stelle erwähnt. Der neue Regierungschef Olaf Scholz, in der evangelischen Kirche getauft, sei schon vor vielen Jahren aus der Kirche ausgetreten – wie das zuletzt in nur einem Jahr mehr als eine halbe Million deutscher Protestanten und Katholiken getan haben, aus der Kirche auszutreten. Zum ersten mal in ihrer Geschichte werde die Bundesrepublik Deutschland von einem konfessionslosen Bundeskanzler regiert. 7 der 16 Bundesminister haben bei ihrer Vereidigung auf die Formulierung „So wahr mir Gott helfe“ verzichtet. 

 

Nochmal zur Erinnerung: kurz nach der Wiedervereinigung 1990 lag der Anteil der katholischen und evangelischen Christen im Land bei 72 Prozent. Können wir jetzt noch, wo wir unter die 50 Prozent-Marke gesunken sind, einen volkskirchlichen Anspruch vertreten?  

 

Der Gegenwind gegen den christlichen Glauben und die christliche Kirche ist in unserem Land heftiger geworden. Das zeigt sich immer wieder, zuletzt in dem Streit über die Inschrift am wiederaufgebauten Stadtschloss in Berlin. Auf der Kuppel ist ein weithin sichtbares Kreuz, da der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. im 19. Jahrhundert auf diesem Schloss eine Kapelle errichten ließ. In einem goldenen Spruchband steht ein aus den beiden Bibelversen Apostelgeschichte 4,12 und Philipper 2,10 zusammengesetztes Bibelwort: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, dass im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“  

 

Erst die Kritik am Kreuz, das doch Symbol des Christentums für Jesu Leiden ist und in dessen Heilsbedeutung für Überwindung des Todes, Versöhnung, Nächstenliebe, Toleranz und Freiheit steht, jetzt sollen auch die biblischen Worte überdeckt werden, wenn auch nur temporär als „Kunstprojekt“. Eine Informationstafel zur richtigen Interpretation der Bibelworte gegenüber einer missbräuchlichen machtpolitischen Instrumentalisierung in der Geschichte genügt den Gegnern nicht. Von den meisten Vertretern der Kirche hört man leider auch wenig Entschiedenes, man hätte doch die Gelegenheit ergreifen können, die Bedeutung von Kreuz und Bibelworten zu erklären. Ich frage, wie kann man nur so dumm sein kann, die segensreiche Kultur des Christentums, die Kultur, aus der man kommt und in der man lebt, zu verleugnen? 

 

Es befremdet, wenn wie vor ein paar Tagen in Münster geschehen, das Kreuz in Münster beim Treffen des G7- Außenministertreffens aus dem Saal des  historischen Rathauses entfernt wird, weil Menschen mit unterschiedlichem religiösen Hintergrund an dem Treffen teilnähmen, so die Begründung aus dem Auswärtigen Amt. 

 

Im Januar 2021 wurde von der Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland das Papier „Lobbyistin der Gottoffenheit. Zum öffentlichen Auftrag und Auftreten einer Minderheitskirche“ gebilligt. In diesem Papier, vorgelegt vom Theologischen Ausschuss und einer entsprechenden Arbeitsgruppe unter der Leitung von Dr. Ilka Werner, wird das Ende der „Volkskirche“ proklamiert. Mit der Frage: „Was folgt auf die Volkskirche?“ wurde die weitere Diskussion eröffnet, an der sich auch der Evangelische Pfarrverein im Rheinland beteiligen möchte.  

 

„Es gibt kein selbstverständlich von der Mehrheit der Bevölkerung getragenes christliches Kirchtum mehr. Die Erosion der Strukturen und der Mitgliederschwund der großen Kirchen lassen den Begriff ‚Volkskirche‘, was seine quantitative Dimension angeht, leer werden. Es gibt sie nicht mehr. Was an ihre Stelle tritt, ist allerdings offen“, heißt es in dieser Schrift (https:// medienpool.ekir.de/A/Medienpool/91743?encoding=UTF-8, S.3f.).

 

Wir widersprechen dieser Schrift und wir werden im Frühjahr 2023 ein Buch unseres Vorstandes vorlegen unter dem Titel: „Salz der Erde, Licht der Welt. Die bleibende Bedeutung der Volkskirche“. Kirche bleibt Volkskirche als Kirche im Volk, auch wenn sie eine Minderheit darstellt. Sie ist mehr als „Lobbyistin“ der Gottoffenheit, mehr als „Teamplayerin“ mit anderen religiösen und zivilgesellschaftlichen Akteurinnen“, mehr als „Agentin des Wandels“ in der Gesellschaft (ebd., S.20f.). Diese in unserer Kirche neu eingeführten Narrative sind schillernd und werden dem Wesen der Kirche nicht gerecht.  

 

Ob die Kirche ihrem Anspruch gerecht wird, für das Volk da zu sein, entscheidet sich am Inhalt ihrer Verkündigung. Kirche für das Volk, so ist sie gedacht. Eine Kirche des Volkes öffnet dagegen schnell im Sinne politischer Stimmungslagen und Zeitströmungen den Weg zu Häresie und Ideologie. 

 

Der Kampf gegen Ideologien ist und bleibt eine große Herausforderung in unserer Zeit. Beim Württembergischen Pfarrerinnen- und Pfarrertag am 10.Oktober 2022 in Ulm referierte Prof. Dr. Bernhard Poerksen aus Tübingen zum Thema „Zwischen Fakt und Fake – die Macht der Lüge im digitalen Zeitalter“. 

 

Es gibt viel zu tun für unsere Kirche. Die Verkündigung von Gottes Wort ist ideologiekritisch, deckt Lügen auf. Die Verkündigung des Evangeliums allein kann der krisengeschüttelten Welt wirklich und nachhaltig helfen. Der Pfarrberuf ist notwendig. Junge Menschen für diesen Beruf zu gewinnen, und sich dafür einzusetzen, die Bedingungen für eine segensreichen Ausübung, was immer dazu in unseren Händen liegt, zu erhalten und wo möglich zu verbessern, das ist unsere Aufgabe im Pfarrverein. 

 

In den anfangs beschriebenen Krisen, die Rede unseres Bundespräsidenten aufnehmend, stelle ich fest, dass wir als Deutschland ein starkes Land mitten in Europa sind, auf das sich andere zunehmend verlassen können müssen, nicht nur die Ukraine. Dieses Land braucht auch eine starke Volkskirche.  

 

Als Rheinischer Pfarrverein legen wir seit Jahren einen Schwerpunkt auf die Vernetzung in Europa. Wir sind Mitglieder der KEP, der Konferenz Europäischer Pfarrvereine. So freue ich mich, dass als unser Ehrengast der langjährige Präsident der KEP, Rinze Marten Witteven aus den Niederlanden, heute mit seiner lieben Frau Rosmarie, bei uns ist, sowie seine Nachfolgerin in diesem Amt, Verena Salvisberg aus der Schweiz, die heute morgen ein Grußwort sprach. Im Juni fand auf dem Liebfrauenberg im Elsass eine KEP-Konferenz statt, an der ich wegen Corona-Erkrankung leider nicht teilnehmen konnte, aber Stephan Sticherling war dabei und hat begeistert davon berichtet. Im nächsten „Info“-Brief wird dazu einiges zu lesen sein. 

 

Auf unser europäisches Engagement, eingebunden in unsere christliche Wertegemeinschaft in Europa, passt auch der Satz, mit dem Frank-Walter Steinmeier seine Rede beschloss: „Alles zu stärken, was uns verbindet – das ist die Aufgabe – tun wir’s!“.  

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.