Gedenken an Rudolf Bohren

Symposion zum 100. Geburtstag in Heidelberg

Friedhelm Maurer

 

Anlässlich seines 100.Geburtstages sollte im März 2020 ein Symposion zum Gedenken an Rudolf Bohren stattfinden. Der zuletzt an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg tätige Professor der Praktischen Theologie wurde am 22.März 1920 in Grindelwald in der Schweiz geboren und verstarb am 1. Februar 2010 in Dossenheim bei Heidelberg. Doch es kam die Corona-Pandemie. Schließlich konnte das damals wohlvorbereitete Symposion am 23.Juli 2022 in Heidelberg in der Peterskirche und in Räumlichkeiten der ESG nachgeholt werden. Die Texte dieser schönen Veranstaltung können jetzt in einem Buch nachgelesen werden, das die Witwe Ursula Bohren zusammen mit den Professoren Christian Möller und Helmut Schwier im Cuvillier Verlag unter dem Titel „Predigtlehre – Lehre zur Freude – Gedenken an Rudolf Bohren anlässlich seines 100.Geburtstages“ herausgegeben hat.

 

Es enthält Christian Möllers wegen des Ausfalls des ursprünglichen Termins ungehaltene Predigt zu 2. Korinther 1,3-4 vom März 2020. Es folgt ein literarisches Portrait des Universitätspredigers Rudolf Bohren, das Pfarrer Dr.Rainer Oechslen verfasst hat. Dann kommen die Beiträge des Symposions vom Juli 2022, beginnend mit der Andacht, die Christian Möller zu Beginn des Tages in der Peterskirche hielt, die er unter das Bibelwort aus Hebräer 13,7 stellte: „Gedenkt eurer Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach.“ Darin ehrte er Rudolf Bohren, indem er in der Andacht mit Worten Rudolf Bohren betete und ihn bestens zu charakterisieren verstand als Menschen, der beides konnte: „Jauchzen“ und „Seufzen“. Nach der Andacht folgte der Festvortrag, den der Altbischof aus der Badischen Landeskirche, Prof. Dr. Joachim Cornelius-Bundschuh, hielt: „Die Kraft des Unterscheidens und die Erbauung der Gemeinde“. Am Nachmittag gab es vier Impulse mit anschließender Aussprache: Ursula Bohren las aus ihrem Buch „Geschenkte Jahre“ vor, Pfarrer PD Dr. Michael Heymel reflektierte, was er aus Bohrens Predigtlehre für sein Predigen gelernt hat, Pfarrerin Mechthild Raff-Eming erzählte, wie Rudolf Bohren ihre Seelsorgepraxis geprägt hat. Schließlich machte Christian Möller Lust auf die Lektüre eines ganz besonderen Buches von Rudolf Bohren, das posthum, 2015, im Theologischen Verlag Zürich erschienen ist: „Japanische Meditationen. Prinz Genji, der Buddhismus und das Christentum“. Japan war Rudolf Bohrens große Liebe, dreimal reiste er in das fernöstliche Land. Von seinem Freund, dem Theologen Tsuneaki Kato, der in Deutschland studierte und sein Assistent war, als Bohren an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal lehrte, wurden die „Predigtlehre“ wie nahezu alle anderen Bücher Bohrens ins Japanische übersetzt. Kato gründete in Kamakura eine christliche Gemeinde, die er in zwei Jahrzehnten zu einer der größten Gemeinden Japans aufbaute und danach selbst Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Hochschule von Tokio wurde.

 

Das Symposion bot auch Gelegenheit zum informellen Austausch, es gab manch freudiges Wiedersehen nach vielen Jahren. Der Lehrer, dessen dankbar gedacht wurde, stiftete erneut Gemeinschaft unter seinen vielen Schülerinnen und Schüler.

 

Ich selbst nahm die Gelegenheit wahr, mir in Vorbereitung auf die Teilnahme an diesem Symposion einiges in Erinnerung zu rufen, was ich über den Wert einer guten Lehre, was ich über Lehrer und Schüler sein bei Rudolf Bohren gelernt habe. Dazu habe ich dann auch in meinen Mitschriften von Vorlesungen, Seminaren und Tagungen geblättert:

 

„Lehre lehrt und lernt sich am besten im Gespräch“,  diesen Satz aus seiner „Predigtlehre“ (München 1974³, 525) hat Rudolf Bohren gelebt. Als sein Schüler, als den ich mich sehr bewusst verstehe, kann ich das bestätigen.  Ich lernte Lehre im Gespräch mit ihm – als Student und als seine wissenschaftliche Hilfskraft in Heidelberg in seinen Vorlesungen und Seminaren, als Teilnehmer seiner Ober- und Doktorandenseminare bei ihm zu Hause in Dossenheim, auf vielen Tagungen und in brieflicher Korrespondenz, und die letzten Jahre bei unseren Predigtanalyse-Samstagen in Landau, wo er das ein oder andere mal zu Gast war, solange es seine Gesundheit zuließ. Dankbar bin ich für das, was ich von Rudolf Bohren gelernt habe: die ästhetische Dimension der Theologie, die Wertschätzung der Gemeinde am Ort, die Freude am Predigen!

Über das hinaus, was Rudolf Bohren in seinen Schriften zur Lehre ausführte, habe ich mir Notizen gemacht, was er in Gesprächen dazu ausführte,  z.B. sagte er beim Oberseminar in Dossenheim am 27.11.1993:  „‘Wenn's nicht in die tiefsten Tiefe der Seele geht – die gesunde Lehre – dann ist Christus für dich umsonst gestorben (Calvin)'. Die Psychologie beeinflusst die Theologie mehr als wir denken.“ Er empfahl uns damals das Buch von Jeffrey M. Masson: Die Abschaffung der Psychotherapie. Ein Plädoyer (aus dem Amerikanischen von Hans-Jürgen Baron von Koskull, Orignial: Against Therapy, Atheneum, New York 1988), C.Bertelsmann Verlag München 1991, 352 Seiten, das ich mir dann auch gekauft und gelesen habe.

 

Wie viele Hinweise auf Lektüre bekam ich doch von ihm, meinem Lehrer – wie er umgekehrt immer interessiert war, Lesefrüchte und Literaturempfehlungen von anderen, eben gerade auch von seinen Schülern, zu bekommen!

Bezüglich der Predigt beklagte Rudolf Bohren, dass die Lehrpredigt - ich brachte damals Dietrich Bonhoeffers Finkenwalder Homiletik ins Gespräch (vgl. in: GS IV, 273) - nicht mehr den ihr gebührenden Platz in der Kirche habe.  Er sagte wörtlich:  „In der heutigen Predigt wird nicht mehr gelehrt – das ist ihr Dilemma – daher die Ethisierung, die ständigen Appelle!“ (Rudolf Bohren bei der Tagung in Wisen/SO, Schweiz, 24.8.1979).

 

Lehre und Leben – darüber hat Rudolf Bohren viel nachgedacht.  Vom Neuen Testament her wusste er um die gute, die gesunde Lehre, die gesund macht und Gesundheit erhält (vgl. den Aufsatz von Wolfgang Schrage: Einige Beobachtungen zur Lehre im Neuen Testament, in: EvTh 42,1982, 233 -251). Rudolf Bohren stand ganz auf dem Boden der reformatorischen Theologie: doctrina generat ecclesiam!

 

Bei allem Kampf um den rechten Glauben, um die Kirche der Nachfolge im Geist Jesu, ist aber festzuhalten, dass er sich immer strikt gegen Lehrzuchtverfahren in der Kirche aussprach: „Lehrzuchtverfahren sind allemal verfahren – Gott übt seine Macht nicht mit institutionellen Mitteln aus“ (Vorlesung am 21.11.1977 in Heidelberg).

 

Rudolf Bohren dachte sehr hoch vom Lehrer, z. B. schreibt er in seinem Buch „Prophetie und Seelsorge“ (Neukirchen-Vluyn 1982), in dem er sich mit seinem Lehrer Eduard Thurneysen auseinandersetzt:  „Lehrer werden in der Vollendung zu Fixsternen, um die wir uns drehen, ob wir sie verehren oder verachten. Nicht sind sie von uns, wir sind von ihnen abhängig, nicht haben sie uns, wir haben sie nötig. Nicht richten sie sich nach unsern Fragen, ihre Antworten stellen uns in Frage, und ihre Fragen nehmen uns ins Gericht.“ (a.a.O., 250) Es gab und gibt gewiss Schüler, die sich von ihren Lehrern auch wieder abwenden.  So fragte ich vor vielen Jahren bei einer Tagung am Bodensee Manfred Josuttis, ob er sich als Schüler Bohrens verstehe, da er sich doch in vielem von ihm distanziert habe … Er antwortete sinngemäß: „Jetzt wieder mehr“. In seiner Pastoraltheologie fragt Manfred Josuttis mehr rhetorisch, denn die Antwort liegt auf der Hand::  „Kann man Lehrer werden, ohne Schüler gewesen zu sein? Kann man Lehrer sein, ohne Schüler zu haben?“ (Zur Ausbildung des Pfarrers, in: Der Pfarrer ist anders, München 1982, 226). Rudolf Bohren hatte Verständnis für solche Abnabelungen vom Lehrer;  wie oft zitierte er das Karl-Barth Wort:  „Sei ein Mann und folge mir nicht nach!“ Aber bei jeder Distanzierung vom Lehrer gilt wohl auch seine Feststellung:  „Wenn aber ein Schüler seinen Lehrer verlässt, nimmt er etwas vom Lehrer mit“  (Rudolf Bohren in: Prophetie und Seelsorge. Eduard Thurneysen, Neukirchen-Vluyn 1982, 45). Das Verhältnis, das Kirche prägen soll, ist gewiss nicht das von Führer und Geführten (eine solche Tendenz ist leider in den gegenwärtigen Struktur- und „Reform“prozessen mit der mit ihnen eingehenden Hierarchisierung und Klerikalisierung zu beobachten), sondern das Verhältnis von Lehrern und Schülern (vgl. dazu Dietrich Bonhoeffer: Das Wesen der Kirche. Nachschrift der Vorlesung des Sommersemesters 1932, in: GS V, 1972, 230).

 

Zuletzt fällt mir noch ein Votum Dietrich Bonhoeffers ein, das ich so auch in meinem Schüler-Lehrer-Verhältnis zu Rudolf Bohren aus vollem Herzen nachsprechen kann: „Dass Sie unser Lehrer in vielen Stunden waren, ging vorüber, dass wir uns Ihre Schüler nennen dürfen, bleibt.“ (Dietrich Bonhoeffer in einem Brief an Adolf von Harnack vom 18.12.1929, in: GS III, 19).