Versetzung eines Pfarrers / einer Pfarrerin gegen seinen / ihren Willen

Hans-Eberhard Dietrich

 1.

Das heute geltende Pfarrdienstgesetz wurde am 10. November 2010 von der EKD beschlossen. In ihm  sind eine Reihe von Bestimmungen enthalten, die die Versetzung eines Pfarrers, einer Pfarrerin gegen seinen, ihren Willen trotz  grundsätzlicher Unversetzbarkeit ermöglichen, und zwar dann „wenn ein besonderes kirchliches Interesse an der Versetzung besteht. Ein besonderes kirchliches Interesse liegt insbesondere vor, „wenn … in ihrer bisherigen Stelle … eine nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes im Sinne von § 80 Absatz Nr. 1 und 2 festgestellt wird.“ Der § 80 bestimmt: 

 

Eine nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes im Sinne …  liegt vor, wenn die Erfüllung der dienstlichen oder der gemeindlichen Aufgaben nicht mehr gewährleistet ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn das Verhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und nicht unbeträchtlichen Teilen der Gemeinde zerrüttet ist oder das Vertrauensverhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und dem Vertretungsorgan der Gemeinde zerstört ist und nicht erkennbar ist, dass das Vertretungsorgan rechtsmissbräuchlich handelt. Die Gründe für die nachhaltige Störung müssen nicht im Verhalten oder in der Person der Pfarrerin oder des Pfarrers liegen. 

Zur Feststellung der Voraussetzungen des Absatzes 1 werden die erforderlichen Erhebungen durchgeführt.

Mit diesem Gesetz wurden die entsprechenden Gesetze der einzelnen Landeskirchen, die sie sich seit 1945 gegeben hatten, vereinheitlicht.

 

2.

 

Aber auch diese Gesetze hatten ihre Vorgeschichte.

Reformation und die Kirchenordnungen bis ins 19. Jahrhundert hinein kannten keine Zwangsversetzung. (Siehe dazu: H.-E.  Dietrich, Die Versetzung von Pfarrern in der protestantischen Tradition und die Einführung des Wartestandes. In: Zeitschrift Evangelisches Kirchenrecht, 2008)

Gleichwohl wurde eine Versetzung gegen den Willen des Stelleninhabers in der Tradition der Kirche in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen vollzogen, ohne dass diese Regelung in den Kirchenordnungen verankert gewesen wäre. Dabei genoss der Geistliche Rechtsschutz in der Weise, dass er eine gleichwertige Stelle erhielt und jeder Anschein einer Bestrafung vermieden wurde. Damit war eine rechtliche Konstruktion gefunden, die dem Inhaber des Predigtamtes gewährleistete, unabhängig von der Gemeinde und der Kirchenleitung das Wort Gottes zu verkündigen. Zugleich aber wurde auch dem Interesse der Gemeinde Rechnung getragen, dass bei Verlust des gegenseitigen Vertrauens eine Versetzung des Stelleninhabers möglich war. 

 

 Nach evangelischer Tradition, die bis 1918 galt, konnte ein Pfarrer nur aus disziplinarischen Gründen sein Amt verlieren, nämlich dann, wenn er falsche Lehre verbreitete oder einen unsittlichen Lebenswandel führte.

 

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten einzelne Landeskirchen eine gesetzliche Regelung für eine erzwungene Versetzung ein. Aber auch in diesen ersten gesetzlichen Regelungen war eine zwangsweise Versetzung nicht mit negativen Rechtsfolgen oder mit Rufschädigung verbunden. Extra betont wird, dass die Versetzung im Interesse der Gemeinde erfolgt, jedoch auf eine mindestens gleichwertige Stelle. Umzugskosten werden ersetzt. 

 

Diese Praxis galt bis zum Ende des landesherrlichen Kirchenregiments 1918 ohne alle Ausnahmen. Nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments 1918 schufen 14 Landeskirchen, das sind damals rund die Hälfte, Gesetze, nach denen Pfarrer wegen „Ungedeihlichkeit“ oder „Unersprießlichkeit ihres Wirkens“ versetzt werden konnten. Von diesen 14 brachen 4 Landeskirchen mit der bisherigen Rechtstradition und verbanden diese Versetzung mit negativen Rechtsfolgen für den Pfarrer. Diese Landeskirchen waren: Bayern, Hamburg, Reuß Älterer Linie und Thüringen. 

 

Als eine Art Vorläufer der Wartestandsgesetze von 1939ff kann man das Gesetz von DC- Reichsbischof Ludwig Müller vom 3. Februar 1934 ansehen. Es sollte den Willkürmaßnahmen der deutsch-christlichen Kirchenregierungen, die seit Juli 1933 über 1000 Pfarrer betrafen, einen gesetzlichen Rahmen geben und stieß bei den Vertretern der sich formierenden Bekennenden Kirche auf schärfsten Protest. Es erlaubte dem Bischof, einen Pfarrer „wegen unersprießlicher Wirksamkeit in der Gemeinde“ zu versetzen oder ihn in den vorläufigen Ruhestand abzuschieben. Der Begriff Wartestand kommt darin nicht vor. Dieses Gesetz wurde von etlichen Landeskirchen übernommen.

 

Dann aber führten in den Jahren 1939 bis 1942 die altpreußische Union und die vier Landeskirchen Sachsen, Bayern, Hannover und Württemberg den Wartestand ein. Die wichtigsten Bestimmungen lauteten: Die Kirchenleitung kann einen Pfarrer in den Wartestand versetzen, wenn eine gedeihliche Amtsführung nicht mehr gewährleistet ist und auch in einer neuen Stelle vorläufig nicht zu erwarten ist. Ein Schuldvorwurf ist damit nicht verbunden. Er erhält Wartegeld, d.h. gekürzten Lohn und verminderte Ruhestandsbezüge. Nach fünf Jahren Wartestand wird der Pfarrer, wenn es ihm nicht gelingt, eine neue Stelle anzutreten, in den Ruhestand versetzt. 

 

Historisch betrachtet entstammten Wartestand, Zwangsversetzung, Gehaltseinbußen und Ungedeihlichkeit ganz verschiedenen Quellen. Es wurden die beiden Rechtstitel „Ungedeihlichkeit, bzw. „im Interesse des Dienstes“ wie sie von etlichen Landeskirchen in der Zeit der Weimarer Republik eingeführt wurden, kombiniert mit dem „Wartestand“ des Deutschen Beamtengesetzes von 1937. Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil ist festzuhalten, dass der Begriff Wartestand im Beamtenrecht erstmals hier eingeführt wurde. Das Reichsbeamtengesetz, das seit 1873 galt, kannte nur den Begriff „Wartegeld“ für den einstweiligen Ruhestand. Mit dem Wartegeld war aber nur bei Spitzenverdienern eine Kürzung um 25 % verbunden, nicht bei Normalbeamten. (Siehe dazu: H.-E. Dietrich: Der Wartestand der protestantischen Kirchen. Seine Herkunft aus dem nationalsozialistischen Reichsbeamtengesetz von 1937. Deutsches Pfarrerblatt 1/2005.)

 

3.

 

Ob man den Wartestand als eine „altüberkommene, an sich ganz unschuldige und meist den Dienstnehmer entgegenkommende Regelung“ (Peter von Tiling, Nochmals Wartestand, DtPfbl. 4/2005) nennen kann, ist angesichts der Entstehungsgeschichte und Ausformulierung während des Dritten Reichs mehr als fraglich. In Barmen wurde gefordert, dass sich alles Kirchenrecht theologisch legitimieren muss. Die Konflikte brachen bezeichnenderweise im Pfarrerdienstrecht auf.  

 

Andreas Siemens hat in einer bisher nicht veröffentlichten Studie nachgewiesen, dass der Kirchenkampf ein Kampf um das geistliche Amt war. Die Pfarrer sahen die Rechte des Pfarramtes durch kirchenleitendes Handeln bedroht und in Frage gestellt. Die Kirchenleitungen führten den unbestimmten Rechtsbegriff „im Interesse der Kirche“, „Ungedeihlichkeit“ und dergleichen ein, um auf diese Weise einen Pfarrer von der Pfarrstelle abzuberufen und ihn darüber hinaus aus dem Beruf auszugliedern. Siemens schließt seine Studie mit der Feststellung: „Das mangelnde gedeihliche Wirken ist kein kirchenrechtlich legitimer Vorwurf, weil hier irgendwelche Stimmungen innerhalb der Gemeinde oder fragwürdige Absichten der Kirchenleitung zum Ausdruck kommen, die sich nicht ausweisen müssen.“  

 

Andreas Siemens ist sogar der Meinung, dass der Kirchenkampf letztlich ein Kampf um das Pfarramt war. Bis dahin war eine Versetzung in der Kirche offensichtlich kein Problem, sicherlich auch deshalb, weil eine Versetzung nicht mit negativen Rechtsfolgen für den Pfarrer verbunden war. Jetzt aber, in dieser bewegten Zeit, bekämpften deutsch-christlich gesinnte  Kirchenleitungen bekenntnistreue Pfarrer auf alle erdenkliche Weise. Am wirkungsvollsten konnten sie die Geistlichen treffen, wenn sie ihnen die materielle Grundlage ihres Berufes entzogen. Das Disziplinarrecht erwies sich dazu als zu schwerfällig, zumal sich die Pfarrer vielfach erfolgreich vor ordentlichen Gerichten zur Wehr setzten. Die Kirchenleitungen suchten also nach Wegen, einen Pfarrer ohne Begründung oder nachprüfbare Gründe von der Stelle zu entfernen. 

Als Vorbild bot sich der Wartestand im Deutschen Beamtenrecht von 1937 an. Kennzeichen dieses Gesetzes war: Es bot dem Staat die Möglichkeit, außerhalb des Disziplinarrechts (höhere) Beamte, die dem Staat nicht linientreu genug erschienen, ohne Nennung von Gründen und ohne einen Schuldvorwurf zu erheben, aus ihrer Stelle zu entfernen und sie nach ein paar Jahren in den Ruhestand abzuschieben. Es traf politische Beamte, die man auf diese Weise ohne Schuldnachweis „entsorgte“, ohne dass sie gegen diese Maßnahme Einspruch erheben konnten. Aber auch andere Beamte konnten auf einfache Weise aus ihren Beamtenstellen entfernt werden, nämlich durch Ruhestandsversetzung aus „politischen Gründen“. Diese Maßnahme sollte erfolgen, „wenn der Beamte nicht mehr die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für den nationalsozialistischen Staat eintreten wird.“(DBG § 71)  

 

Ein Wartestandsrecht nach dem Vorbild des Deutschen Beamtengesetzes 1937 schufen sich nach 1937 fünf Landeskirchen. Um jedoch den Status des Pfarrers nicht allzu sehr dem eines politischen Beamten anzunähern, griff die Kirche auf eine in der Weimarer Republik in manchen Landeskirchen eingeführte Begrifflichkeit zurück: Das ungedeihliche oder unersprießliche Wirken eines Pfarrers in seiner Gemeinde. Damit hatten die Kirchen ihr oben genanntes Ziel erreicht.  

Nähe und Abhängigkeit der kirchlichen Gesetze vom NS-Staat zeigt sich z.B. in Sachsen. Bei der Einführung am 6. April 1939 berief sich die evangelisch-lutherische Landeskirche auf die staatliche Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 10. Dezember 1937.  (Kirchliches Gesetzes- und Verordnungsblatt der evangelischen-lutherischen Landeskirche Sachsens Nr. 9,1939, S.59f.) Im Gesetz, das die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannover 1942 erließ  (Kirchliches Amtsblatt für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannover 1942, S. 104 - 106) wurde bis in alle Einzelbestimmungen auf das Deutsche Beamtenbesetz von 1937 Bezug genommen. Die Kirchenleitung sah sich 1942 genötigt, ein eigenes Gesetz zur Zwangspensionierung einzubringen, um einem Gesetz der DEK aus Berlin zuvorzukommen, das der Leiter der Finanzabteilung Dr. Cölle geplant hatte.

 

In diesem Zusammenhang ist auch der Fall Paul Schneider zu nennen. (Siehe dazu: Simone Rauthe, „Scharfe Gegner“. Die Disziplinierung kirchlicher Mitarbeiter durch das Evangelische Konsistorium der Rheinprovinz und seine Finanzabteilung von 1933 bis 1945, S.350-353.)

 

Paul Schneider geriet als bekennender Christ mit der NSDAP in Konflikt. Sie verlangte die Entfernung aus seiner Stelle. Die rheinische Kirchenleitung bedauerte aufgrund der bestehenden Rechtslage, diesem Ansinnen nicht nachkommen zu können. Sie drückte aber ihre Hoffnung aus, „dass durch eine baldige Schaffung einer Regelung über die Versetzung in den Wartestand eine erleichterte Möglichkeit zur Erledigung aller solcher Fälle (sc. wie Paul Schneider), die anders nicht befriedigend geregelt werden können, geboten wird.“ Am 18. März 1939 trat die erstrebte Verordnung über die Versetzung von Geistlichen aus dienstlichen Gründen in Kraft, gemeint ist damit der Wartestand. Sie betraf auch Paul Schneider. Ehe ihn die Verfügung erreichen konnte, war er im KZ ermordet worden. Das rheinische Konsistorium schickte der Gestapo eine Vollzugsmeldung über den Erlass des Wartestandes. 

 

 4.

 

Zusammenfassung der wichtigsten Elemente:

Die Versetzung gegen den Willen des Stelleninhabers enthält folgende Elemente: Versetzung ohne Schuldvorwurf. Diese Rechtsfigur aus der Politik für höhere Beamte hat dort seinen Sinn, weil der Dienstgeber sich gerade auf seine Spitzenbeamten in besonderer Weise politisch verlassen muss. Doch schon im Beamtengesetz 1937 konnte eine solche Versetzung auch andere Beamte treffen (vgl. § 44 (2). Ruhestandsversetzung aus politischen Gründen und Untersuchungsverfahren, wenn der Beamte den Interessen des NS-Staates nicht entsprach (DBG § 71(1) und (2) ).

Gehaltskürzung um 20% und mehr stammt gleich aus zwei Quellen. Einmal aus dem Disziplinarrecht und dem Deutschen Beamtengesetz von 1937, dort aber traf es nur Spitzenverdiener. Diese Rechtsfolge ist de facto eine Bestrafung ohne Schuldvorwurf, geschweige Schuldnachweis, die oft weit über die des Disziplinarrechts hinausgeht.  Fristenregelung, d.h. Versetzung in den Ruhestand nach fünf Jahren Wartestand. Das bedeutet Ausgliederung aus dem Beruf ohne Gründe wie Schuld, Krankheit, falsche Lehre. Sie ist dem Deutschen Beamtengesetz von 1937 entlehnt. Dort sollten unliebsame Beamte entfernt werden, nach der geltenden Doktrin: Wer sich nicht dem neuen Geist verschreiben will, hat letztlich in der Volksgemeinschaft keinen Platz mehr. Nichtgedeihlichkeit (heute: nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes) … ist ein politischer Kampfbegriff aus der Kaiserzeit, mit dem sozial engagierte Pfarrer aus dem Beruf entfernt werden sollten. In der politisch aufgeheizten Atmosphäre der  Weimarer Republik wurde dieser Begriff in einigen Landeskirchen ins Dienstrecht eingeführt, um politisch unliebsame Pfarrer jetzt ohne den Umweg über das Disziplinarrecht auf dem Verwaltungsweg zu entfernen. Die „Ungedeihlichkeit“ wird dann von nazitreuen Kirchenmännern mit Freuden aufgenommen, um die Kirche auf Linie der NS-Ideologie zu bringen. Aber auch weniger linientreue Landeskirchen wie Württemberg und Hannover übernahmen diese Regelung.  

 

Fazit: 

 

Erst die Bündelung verschiedener Rechtstitel, insbesondere die negativen Rechtsfolgen, macht dieses kirchliche Gesetz zu dem, was es heute noch ist: Es ist ein Bruch mit der Rechtstradition seit der Reformation. Es diskriminiert wegen seiner Nähe zum Disziplinarrecht. Es bestraft durch Gehaltskürzung und beendet die aktive Berufstätigkeit vor Erreichung der Altersgrenze und ohne Vorliegen von Schuld oder Krankheit. Die Kirche verknüpft in ihrer Gesetzgebung ohne erkennbare logische oder theologische Gründe eine verschuldensunabhängige Versetzung mit gravierenden Rechtsfolgen. Beide Größen haben nichts miteinander zu tun.

 

Die Bundesrepublik Deutschland hat im Jahr 1953 das Deutsche Beamtengesetz von 1937 mit seinen der Rechtstradition widersprechenden Paragraphen außer Kraft gesetzt. Viele evangelische Landeskirchen behielten die genannten Rechtstitel in ihren Pfarrerdienstgesetzen indes auch nach 1945 bei. Die Synode der EKD hat sie  im Pfarrdienstgesetz der EKD im Jahr 2010 sogar für alle Landeskirchen geltend gemacht.

 

Hans-Eberhard Dietrich,
Pfarrer i.R., Württembergische Landeskirche. Wohnhaft in Kornwestheim. Diverse Beiträge im Deutschen Pfarrerblatt zwischen 2002 und 2017, Beitrag in ZevKR 2008 und Zeitschrift Kirchliche Zeitgeschichte 2009. Eigene Schrift zusammen mit Friedrich Reitzig: „Die bessere Gerechtigkeit“ (Gabriele Schäfer Verlag 2010). Engagiert auch in tierethischen Themen: „An der Seite der Tiere“. Christsein und ein neuer Umgang mit der Kreatur (zusammen mit Ulrich Seidel,  LIT Verlag 2019).