Liebe Mitglieder des Rheinischen Pfarrvereins, liebe Leserinnen und Leser dieses 30. Infobriefs,
noch immer gibt es EKD-weit Versuche, Kolleginnen und Kollegen unter dem Vorwurf einer „nachhaltigen Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“ von ihren Stellen abzuberufen. In manchen Landeskirchen jedoch – und wenn das zutrifft, dann auch in der Rheinischen Kirche – scheint die Zurückhaltung, dieses Verfahren anzuwenden, zugenommen zu haben. Man ahnt inzwischen, welchen Rattenschwanz das in aller Regel nach sich zieht. Wenn dem so ist, dann war das jahrelange Engagement des Pfarrvereins (und das in dieser Hinsicht sehr verdienstvolle Wirken des D.A.V.I.D-Vereins) – nicht vergeblich. Dennoch sind die skandalösen „Ungedeihlich-keits-Paragraphen“ des EKD- Pfarrdienstrechtes (§79,5; §80,1.2) und das Prinzip „Bestrafung ohne Schuld“ noch immer geltendes Recht und es ist nur eine Frage der Zeit, dass irgendjemand auf die Idee kommt, das sei doch eine elegante Art und Weise, schwierige Personalfälle zu lösen.
Gerüchteweise wussten wir, dass diese Praxis irgendwie mit Paul Schneider zusammenhängt. Hans-Eberhard Dietrich hat diese Zusammenhänge in seinem Bericht (Seite 31) klar dargelegt. Auf meine Rückfrage, ob man von einer „Lex Paul Schneider“ sprechen müsse und ob nach dem Krieg eine solche Möglichkeit geschaffen worden wäre, wenn sie nicht schon 1939 eingeführt worden wäre, schrieb er mir: „Ob die Landeskirchen ohne die 5 Vorreiter aus dem Dritten Reich ein solches Gesetz gemacht hätten, ist wohl schwer zu beurteilen. Eines steht fest: Barmen und seine Forderung, das Kirchenrecht muss sich vor dem Bekenntnis rechtfertigen, wurde eindeutig missachtet. Der Geist von Barmen spielte bei der Gesetzgebung nach 1945 keine Rolle, auch wenn es in den Beratungsprotokollen zitiert wird.“
Inwieweit sich die nach dem Krieg geschaffene Ordnung „vor dem Bekenntnis rechtfertigen“ kann oder nicht, kann hier nicht weiter erörtert worden. Die Möglichkeit, Pfarrerinnen und Pfarrer ohne Schuldvorwurf aus ihrem Dienst abzuberufen, steht jedoch in jedem Fall im eklatanten Widerspruch dazu. Irgendwann wird die Zeit kommen, in der dieser Missbrauch des Dienstrechtes aufgearbeitet werden muss und wird. Irgendwann werden die Kirchen einräumen müssen, dass sie hier auf einem Irrweg waren. Aber wir Betroffenen, ich selbst gehöre dazu, haben Anspruch darauf, dass schon zu unseren Lebzeiten mindestens ein öffentliches Wort der Entschuldigung von den Kirchenleitungen gesagt wird. Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass wir es tatsächlich hören werden. Wer die Anwendung von §80 des Dienstrechtes nicht am eigenen Leibe erlebt hat, wird kaum die Ohnmacht nachempfinden können, wenn man Machtspielen von Presbyterium, Superintendent oder Landeskirchenamt und einer nicht mehr aufzuhaltenden, unheilvollen Dynamik ausgeliefert ist. Wie viele davon betroffen sind, lässt sich kaum noch ermitteln, weil viele sich längst verletzt und verbittert zurückgezogen haben und nicht mehr im Blick sind. Es dürfte Entsetzen auslösen, wüssten wir die genauen Zahlen.
Das Hauptreferat der Siegburger „Digital-Pfarrerin“ Birgit Rößle-König auf dem Bonner Pfarreinnen– und Pfarrertag hat viel Zustimmung ausgelöst (Seite 3). Aber nicht nur. Auch ich gehöre eher zu denen, die etwas inneren Widerstand spüren, bevor sie sich auf ein solches Thema einlassen, die aber auf der anderen Seite genau wissen, dass wir uns darauf einlassen müssen. Deswegen war es gut, dass eine Pfarrerin, die hier echte Pionier-Arbeit leistet, uns davon erzählt hat. All jenen, die dabei Unbehagen spüren sei gesagt: Es handelt sich hier nicht um das Endergebnis, sondern um den Aufschlag des Gespräches. Wir müssen auf die immer digitaler werdende Welt um uns herum reagieren. Und wir müssen darüber reden, wie. Die Referentin hat dazu wichtige Impulse gesetzt. Landeskirchenrätin Iris Döring (Seite 23) hat diesen Ton in ihrem Grußwort aufgegriffen und zu diesem Weg ausdrücklich ermutigt.
Die Kollegen und Kollegin König, Bratkus-Fünderich, Korsten und - in Zukunft - Husken nehmen im Auftrag der Kirchenleitung die Schwerbehindertenvertretung war. Sie berichten von ihren Erfahrungen und machen darauf aufmerksam, dass die Strukturen und Orientierungspunkte wie auch die kirchenrechtlichen Grundlagen noch entwicklungsbedürftig sind. Daran werden die vier arbeiten; auch sie leisten in gewisser Weise Pionierarbeit, und der Pfarrverein wird sie dabei unterstützen. Unterstützt durch den Pfarrverein wird auch der Bonner ökumenische Predigtpreis, zumal unser Vorstandsmitglied Prof. Reinhard Schmidt-Rost dort engagiert ist und in diesem Jahr die Laudatio auf die Preisträgerin in der Kategorie „Lebenswerk“, die Ratsvorsitzende Annette Kurschus gehalten hat. Sein Hinweis, dass die „Therapie“ als Leitbegriff der praktischen Theologie derzeit durch den Begriff Narrativ (sinn-stiftende Erzählung) abgelöst wird, deutet möglicherweise auf einen innerkirchlichen Kulturwandel, den zu beobachten und weiter zu verfolgen höchst spannend wäre. Die Laudatio ist in diesem Heft nachzulesen (Seite 28). Freunde des satirischen Narrativs werden bei Arnulf Lindens spitzer Feder (Seite 37) auf ihre Kosten kommen. Trotz aller Kritik an ihr lieben wir unsere Kirche, aber damit wir das weiterhin tun können, muss diese manche Spitze und manchen Seitenhieb aushalten können - aber wir haben keinen Zweifel, dass sie das kann.
Schon lange beobachtet Hans-Jürgen Volk mit wachem Blick und viel Verständnis für die kirchlichen Strukturen die zahlreichen Reformprozesse der letzten Jahre. Wie er in diesem Zusammenhang das E.K.I.R-2030-Papier bewertet, beschreibt er in seinem Bericht „Kirche in der Krise“ (Seite 36).
Eine Tradition führen wir mit dieser Ausgabe fort: Wir geben einem Kollegen, der schon lange im Ruhestand ist, die Gelegenheit, aus dem ihm gegebenen Abstand zu den Dingen seine Beobachtungen und Erfahrungen niederzuschreiben und Bilanz zu ziehen. Dieses Mal ist es Dr. Hans-Alex Thomas (90 Jahre) aus Koblenz (Seite 50). Seine eher skeptischen Betrachtungen werden gewiss nicht nur auf Zustimmung stoßen und sind dazu geeignet, Diskussionen auszulösen. Dennoch soll auch hier gelten, was für uns Pfarrerinnen und Pfarrer so oft gilt: Hören wir einfach mal zu, unvoreingenommen und vorurteilslos und schauen uns an, was einen Kollegen am Ende seines neunten Lebensjahrzehnt bewegt und beschäftigt.
Gerade dieses Heft des Infobriefs macht deutlich, dass der Pfarrverein vor großen Aufgaben steht. Wir werden in diesen Zeiten des kirchlichen Wandels gründlich reflektieren und festhalten müssen, was den Pfarrberuf ausmacht, warum es sich noch immer lohnt, ihn auszuüben, wo Bedrohungen, Gefahren, Reichtümer und Chancen liegen. Friedhelm Maurer, nun Pfarrer im Ruhestand, hat sich noch einmal dankenswerter Weise zum Vorsitzenden wählen lassen. Auch Reinhard Schmidt-Rost macht noch eine Weile weiter. Gerhard Rabius haben wir dagegen nach so vielen Jahren mit großem Dank aus dem Vorstand verabschiedet (siehe Seite 43), ebenso Brigitte Keuer, der wir viele wichtige Anregungen verdanken. Monika Möhle-Lässig (Remscheid) ist dazugestoßen. Wir haben Lust, noch einmal richtig ans Werk zu gehen und Herzblut zu investieren. Zugleich scheint langsam der Generationenwechsel am Horizont auf. Wer von Ihnen und Euch wird dann den Pfarrberuf beherzt zu seinem Anliegen machen?
Nun aber wünsche Ihnen erst mal eine unterhaltsame und interessante Lektüre dieses Heftes, das dieses Mal besonders vielstimmig ist,
Ihr Stephan Sticherling