Bericht des Vorsitzenden

auf der Mitgliederversammlung des Pfarrvereins am 8. November 2021 in Bonn

Friedhelm Maurer 

Vielleicht geht es Ihnen manchmal auch so beim Lesen: Sie finden einen Satz nicht nur gut, sondern so gut, dass Sie ihn doppelt und dreifach unterstreichen möchten. So erging es mir bei der Lektüre eines Essays von Markus Gabriel, Professor für Philosophie an der Universität hier in Bonn. Es waren gleich fünf Sätze, die ich mit dicker Umrandung markierte:

„Das Leben lässt sich nicht digitalisieren, wir sind und bleiben in der analogen Wirklichkeit verhaftet, in der wir als Tiere existieren – solange es Menschen noch gibt. Daher ist Nachhaltigkeit und nicht etwa Digitalisierung das Zukunftsprojekt, an dem wir gemeinsam arbeiten müssen. An die Stelle der Digitalisierung tritt die Analogisierung. Konkret bedeutet dies, dass wir unsere individuelle und kollektive Zielsetzung am Auf - und Ausbau des Bestehenden orientieren müssen. Statt einer dauernden Revolution bedarf es einer durchdachten Renovation und ständigen Sanierung, die sich an den natürlichen Gegebenheiten unseres Planeten orientiert, die über Jahrmillionen entstanden sind.“

 

So seine Ausführungen unter der Überschrift: „Ein Irrglaube namens Technik. Die Kollateralschäden unserer Digitalisierungs-Begeisterung beantworten wir mit immer noch mehr Technologie. Ein neues Natur- und Menschenbild ist dringend notwendig“ (in: FOCUS Nr.39 vom 25.9.2021, S.46f.)

 

Natürlich stört mich als Theologe die Formulierung „als Tiere existieren“, und ein neues Natur- und Menschenbild braucht es m.E. auch nicht, wenn wir als Christinnen und Christen die Natur als Gottes wunderbare und erhaltenswerte Schöpfung begreifen, in der uns Menschen mit der Gottebenbildlichkeit und in der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus die höchste Würde beigelegt ist.

 

Heute Vormittag beschäftigten wir uns auf unserem 51. Rheinischen Pfarrerinnen- und Pfarrertag mit dem gerade durch die Corona-Pandemie beförderten Digitalisierungsschub in unserer Kirche. Zu den schon laufenden Umstrukturierungen, zu den Veränderungen etwa durch Fusionen, zu den Kürzungen in den Etats, entsteht durch die Forderung nach Digitalisierung nun ein weiterer Druck auf Kirchenleitung, aber gewiss gerade eben auch auf die Pfarrerschaft. 

Beim Vierten Forum Pfarramt und Gesundheit, einem Fachtag, dessen Mitveranstalter der Verband der Pfarrvereine in Deutschland ist und zu dem Personalverantwortliche aus den Landeskirchen eingeladen sind, stand diesmal unter dem Motto „Gesund bleiben in Veränderungsprozessen“ auch der Digitalisierungsstress zur Diskussion.

 

Andreas Rohnke hat im Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt (Nr.10/2021, S. 654f.) die Ergebnisse des Forums zusammengefasst. Auch der Verbandsvorsitzende, Andreas Kahnt, hat in seinem Bericht vor der Mitgliederversammlung des Verbandes in Bad Salzuflen am 28.9.2021 dieses wichtige Thema aufgenommen und festgestellt: „Berufliche Veränderungen, zumal wenn sie sich geballt oder unablässig vollziehen, verursachen Stress und Unsicherheit mit nicht selten physischen und psychischen Folgen“. Wohl nicht bei allen, aber bei vielen, es kommt auf die individuelle Resilienz an.

Ich rede hier nicht von den Notwendigkeiten, sich an veränderte Umstände anzupassen, von notwendiger Intelligenz des Menschen, flexibel zu sein, um vorteilhaft für alle Menschen wirken zu können. Der Klimawandel und seine Folgen erfordern solche Bereitschaft zur Veränderung – wobei gerade hier deutlich wird, was geradezu ein Gesetz der Politik ist, dass „wir alle nur so lange für Veränderungen sind, bis wir selbst uns ändern müssen“, um mit Bill Clinton zu sprechen (Bill Clinton: Mein Leben, Berlin 2004, S.781). Ich rede vielmehr von einer geradezu neurotischen Veränderungsdauermobilmachung, die ihren Ausdruck findet in inflationären „Papieren“, die Menschen überfluten. Darin hat unsere Kirche geradezu eine Meisterschaft in den letzten Jahren entwickelt. Und die Arbeitsgemeinschaften, Konferenzen und Synoden in den sogenannten „Struktur- und Reformprozessen“ werden oft eröffnet, indem man das Lied „Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist“ (eg 395) singen lässt – wobei die Frage bleibt, ob es wirklich immer der Herr ist, der auf diese Wege weist  ...

 

Im Vortrag von Birgit Rößle-König ging es darum, wie vor allem die Chancen der Digitalisierung genutzt werden können und wie die Gefahren einer unverhältnismäßigen Belastung entsprechend abgewehrt werden können. Mit solcher Abwägung müssen wir uns dieser Herausforderung Digitalisierung stellen.

 

Ich komme auf mein Anfangszitat zurück:  In der Digitalisierung liegt nicht alles Heil dieser Welt, ja sie sollte noch nicht einmal Priorisierung erfahren, sondern es muss um Nachhaltigkeit gehen, wenn wir unseren Teil dazu beitragen wollen, dass die Zukunft gut wird. Also: keine ständigen „Struktur- und Reformprozesse“, sondern durchdachte Renovation und Sanierung. Mich stört dieses Gerede, was alles „neu zu erfinden“ sei, was alles „umgesetzt“ werden müsse, wozu man die Menschen nur „mitnehmen“ müsse.  In der Rede von „neu erfinden“ sehe ich Geschichtsvergessenheit am Werk, sehe ich viel Lärm um Ideenfündlein, aus denen sich aber schnell Ideologien entwickeln können, wie wir sie auch im politischen Diskurs erleben.

 

Überall im Land sind die Unternehmensberater und Organisationsentwickler unterwegs, sie referieren auch in unserer Kirche, kassieren nebenbei bemerkt nicht unerhebliche Honorare, man lauscht ihren Vorträgen auf Kreissynoden, liest ihre Bücher schon wie das neue Evangelium, merkt aber anscheinend nicht, wie man sich verrennt mit endlosen „Papieren“ immer weiter hinein in eine lähmende Unüberschaubarkeit.

 

Neuerdings hat ein promovierter Theologe, Steffen Bauer, den Versuch unternommen, die „Transformationsprozesse“ von sieben Landeskirchen zu vergleichen, darunter auch die Evangelische Kirche im Rheinland. In der Vorbemerkung zu seiner Arbeit offenbart sich schon die ganze Problematik dieser Übung, ich zitiere die ersten Sätze: „Die Landeskirchen sind auf dem Weg. Ob gewollt oder nicht, eine Notwendigkeit zur Veränderung wird überall gesehen. Schaut man sich die Verlautbarungen zu schon laufenden oder gerade beginnenden bzw. in konkreter Planung stehenden Prozessen an, so entdeckt man (1) vielfältige Übereinstimmungen gerade bezüglich der auslösenden Momente dieser Prozesse. Es gibt aber auch (2) gewichtige Unterschiede zwischen den einzelnen Landeskirchen und zudem (3) Fragen, die letztlich wohl überall noch unbeantwortet sind. Alle drei Momente sollen im Folgenden sichtbar werden.“  (Manuskript, August 2021, heruntergeladen aus dem Internet).

 

Was dann folgt - ich war sehr gespannt vor der Lektüre - überzeugte mich nicht. Ich blieb ratlos zurück mit dem Eindruck: wieder reichlich Stoff für Funktionärs-Gremien zu deren Selbstbeschäftigung. Das Kirchenvolk wird damit nicht erreicht. Das wendet sich weiter ab, allein schon abgestoßen von der Sprache, die hier gesprochen wird, dazu irritiert von dem Widersprüchlichen und  Nebulösen, das sich dem Verstehen verschließt.

 

Verstehen Sie die Vorbemerkung von Steffen Bauer? Ich versuche, sie zu verstehen.

Zunächst, was wie ein Allgemeinplatz daherkommt: „Die Landeskirchen sind auf dem Weg.“ Schön. Wohin führt der Weg, weiß man das? Oft heißt es: „zukunftsfähige Kirche“.  Ist etwa die Kirche das Ziel? Soll das so sein, predigte nicht Jesus das Kommen des Reiches Gottes? Sehen die Organisationsentwickler überhaupt die geistliche Dimension und damit die Relativität von Kirche?

 

Sodann, was heißt: „Gewollt oder nicht, eine Notwendigkeit zur Veränderung wird überall gesehen“? Wird tatsächlich die Notwendigkeit zur Veränderung „überall“ gesehen? Auch von denen, die skeptisch sind und sie nicht wollen?

Fakt ist, es gibt Verlautbarungen in den Landeskirchen zu „schon laufenden oder gerade beginnenden bzw. in konkreter Planung stehenden Prozessen“.  Also: was notwendig ist, läuft schon, beginnt gerade erst oder befindet sich in konkreter Planung (nebenbei: gibt es unkonkrete Planung?).

 

Und da ist es dann auch schon, dieses Zauberwort: es handelt sich um „Prozesse“.

 

Prozess ist nach DUDEN als gerichtlicher Begriff für Rechtsstreit zu verstehen, darüber hinaus als ein „über eine gewisse Zeit sich erstreckender Vorgang, bei dem etwas allmählich entsteht, sich herausbildet“. Wenn also von einem „Transformationsprozess“ der Kirche die Rede ist, dann soll wohl eine neue Gestalt von Kirche entstehen. Das scheint mir aber etwas ganz anderes zu sein als eine Reformation von Kirche, die wieder als Kirche – orientiert am Zeugnis der Heiligen Schrift – zu ihrer eigentlichen Gestalt und Aufgabe zurückfindet.

 

Ich erinnere noch einmal an mein Anfangszitat: „Statt einer dauernden Revolution bedarf es einer durchdachten Renovation und ständigen Sanierung“. Das lässt sich sehr gut auf die Kirche übertragen als einer Institution  „semper reformanda“.  Wobei Institution mehr ist als Organisation.

 

Steffen Bauer vergleicht in seiner Studie die „auslösenden Momente dieser Prozesse“.

 

Jetzt wird es richtig spannend! Die Frage ist, meines Erachtens die wichtigste Frage: wer ist eigentlich das Subjekt der Prozesse? Kommt der Veränderungsdruck über die Kirche wie ein Naturereignis, ja wie eine Naturkatastrophe, der man sich nicht entziehen kann „gewollt oder nicht“? Wenn man es so sieht: Wird dann hier aber nicht Natur mit Geschichte verwechselt, was zur Mythenbildung führt? Noch entscheidender gefragt: welche Rolle spielt eigentlich Jesus Christus, der Herr der Kirche in diesen Prozessen? Welche Bedeutung hat der Heilige Geist, spielt er überhaupt noch eine ernstzunehmende Rolle  oder erscheint er in den kirchlichen Verlautbarungen – meistens am Schluss – nur noch rein formal als frommes Zugeständnis der Macher, die wie der Großinquisitor in Dostojewskis Roman „Die Brüder Karamasov“ Jesu Werk zu verbessern meinen und sich von ihm nicht stören lassen wollen?

 

Statt auf den Geist Gottes zu setzen, setzt die Welt auf ihre eigene Weisheit. Und für die Kirche gilt, dass sie sich leider zu oft der Welt gleich stellt. Die Welt setzt auf ihre Weisheit und Intelligenz, ja zunehmend auf die Künstliche Intelligenz (KI). Eine neue Frage drängt sich somit auf: Wie verhalten sich eigentlich Heiliger Geist und Künstliche Intelligenz?  Ich befürchte, die vielen laufenden Transformationsprozesse in unseren Kirchen, die vielen gleichzeitigen Struktur- und Reformprozesse werden bald, allein wegen der Masse an „Papieren“, konsequenterweise auch, wie an anderen Stellen aufgrund der Datenmenge, mit künstlicher Intelligenz untersucht werden unter Einsatz von Algorithmen.

Man wird es dann möglicherweise so machen wie bei dem Projekt, Beethovens unvollendete 10. Sinfonie mit Computer zu Ende zu komponieren: 10.000 zeitgenössische Musikstücke wurden hochgeladen und analysiert und durch lernfähige KI-Netzwerke gejagt. Es war der Versuch aus den 40 Skizzen mit 350 Takten der geplanten Sinfonie, die man 1827 nach Beethovens Tod in seinem Nachlass fand, ein Werk zu machen, Beethovens geplantes Werk zu vollenden. Zwei Jahre wurde von den Computer-Nerds an den Algorithmen getüftelt. Was kam bei diesem „Prozess“ heraus? Erst einmal zwei Millionen Noten, davon allerdings erst einmal vieles für die Tonne.

 

Algorithmen bringen alles, was ihnen eingespeist wird, in ein Regelwerk. Regeln werden gefunden und angewendet.  Ideen werden „umgesetzt“. Aber das Geniale bleibt dabei auf der Strecke. Der Dirigent der Uraufführung dieses Versuches am 9. Oktober 2021 hier in Bonn, Dirk Kaftan, der Leiter des Bonner Beethoven Orchesters, blieb trotz donnerndem Schlussapplaus bei der Uraufführung nüchtern und stellte, von dem Unternehmen nicht überzeugt, obwohl es sich doch gar nicht so schlecht anhörte, fest: „Das ist kein Beethoven“.  (in: FOCUS Nr. 42 vom 16.10.2021, S.86f.)

Schon nach der Generalprobe meinte der Dirigent: Für ihn beweise das Klangergebnis, dass die KI nur auf das reagieren kann, womit sie gefüttert werde. "Die KI verarbeitet Dinge, die schon passiert sind. Sie verarbeitet die Vergangenheit. Die Frage, ob sie etwas originäres Neues schafft, was aus der Seele des Menschen einen Zeitgeist auffängt und daraus ein unverwechselbares Kunstwerk macht – die ist nicht beantwortet mit diesem Projekt. Und da hätte ich meine ganz, ganz großen Zweifel." (www.br-klassik.de)

 

Vielleicht stellen wir nach den ganzen Transformationsprozess-Bemühungen am Ende ja auch fest:

„Das ist nicht Kirche!“

 

Seit Jahren ist die Kirche damit beschäftigt, neue „Papiere“ herauszubringen. Da wird Großes beschworen und am Ende kommt sehr wenig dabei heraus.  Da passt wohl der Spruch: „Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet“. 

Vor einem Jahr wurde von der EKD-Synode vorgelegt: „Hinaus ins Weite – Kirche auf gutem Grund“ – Zwölf Leitsätze zur Zukunft einer aufgeschlossenen Kirche“;  die Synode der Ev. Kirche im Rheinland legte dann im Januar 2021 nach: „Lobbyistin der Gottoffenheit. Zum öffentlichen Auftrag und Auftreten einer Minderheitskirche“;  nicht genug damit – nun legte im August die Kirchenleitung ein „Positionspapier“ vor: „E.K.I.R.2030. Wir gestalten ‚evangelisch rheinisch‘ zukunftsfähig“.

 

Dabei sind in unserer Landeskirche Presbyterien noch mit „Zeit für das Wesentliche“ (vgl. die Handreichung von November 2017) und mit den - in der Regel von Unternehmensberatern nach den Kriterien der Organisationsentwicklung erarbeiteten -  Konzepten der Neustrukturierung in den Kirchenkreisen befasst.

In meinem Arbeitszimmer stapeln sich die „Arbeitshilfen“ der letzten Jahre, ich greife nur mal eine heraus: „Vom offenen Himmel erzählen. Unterwegs zu einer missionarischen Volkskirche“ (2006), mit dem der Prozess der EKiR „Auf Sendung“ (2002-2005) fortgesetzt wurde.

 

Immer wieder ist in unserer Kirche von „Prozessen“ und „Visionen“ die Rede, von dem, was erdacht und zu Papier gebracht, nun an der Basis „umgesetzt“ werden müsse.

 

Auch das neueste Papier, mit dem sich der neue Präses, Dr. Thorsten Latzel, vorstellt und profilieren will, bringt da nichts wirklich Neues. Sehr vollmundig wird im ersten Satz behauptet, die Evangelische Kirche im Rheinland sei „eine faszinierende, starke und reich gesegnete Kirche“. Wenn gute Politik mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit beginnt und die Kunst des Möglichen ist, dann sollte gute Kirchenpolitik sich auch ernsthaft mit der Wirklichkeit befassen: die Evangelische Kirche im Rheinland ist keine faszinierende Kirche und in ihr ist nicht „unten oben“, wie ein paar Zeilen weiter unter „Ausgangslage: Wo wir stehen“ behauptet wird.

 

Ich glaube nicht, dass es in unserer Landeskirche nur ein Umsetzungsproblem gibt, vielmehr gibt es vor allem noch ein Erkenntnisproblem, denn es gilt wohl nicht „evangelisch rheinisch“ die Kirche zu gestalten, sondern evangelisch, wo immer sie sich geographisch befindet in dem Gebiet, das kirchlich  „Rheinland“ heißt, auch dort, wo es sich im Süden bis in den Mosel-Hunsrück, das Naheland und das Saarland erstreckt. Das Modalwort „rheinisch“ zu evangelisch gehört hier nicht hin, erzeugt nur eine vom Evangelium ablenkende Konnotation.

 

Der ehemalige Vorsitzende des Ständigen Ausschusses für Kirchenordnung und Rechtsfragen, Werner Lauff, hat in einem Offenen Brief an die in Bad Neuenahr versammelten Synodalen 1997 formuliert: „Lehnen Sie, verehrte Synodale, das Vorhaben konsistorialer Kirchenführung ab. Wahren Sie, verehrte Synodale, das verbriefte Recht der Gemeinden, von denen her sich unsere Kirche aufbaut. Sie ist keine ‚Landeskirche‘, sondern hat sich mit Bedacht den Namen ‚Evangelische Kirche im Rheinland‘ gegeben!“

 

Darüber wären wir gerne mit dem neuen Präses ins Gespräch gekommen, aber ein Gesprächstermin wurde uns erst für nächstes Jahr im März 2022 angeboten,  zudem ein Gespräch begrenzt auf nur eine Stunde. Wenn man so wertschätzend mit dem Evangelischen Pfarrverein im Rheinland umgeht, der in diesem Jahr sein 120-jähriges Bestehen feiert, der dafür gekämpft hat, dass dann endlich auch die Rheinische Landeskirche eine gesetzlich verankerte Pfarrvertretung bekommen hat, die in wenigen Tagen ihr 12-jähriges Bestehen feiert, dann macht das eine wenig rühmliche Aussage über den neuen Präses. Wo die interne, persönliche Kommunikation von der Kirchenleitung nicht gesucht wird, bleibt uns als Vorstand des Evangelischen Pfarrvereins im Rheinland nur, das so zu akzeptieren.  Aber weil die Kommunikation geführt werden muss, bleibt uns nichts anderes übrig, als dann eben direkt öffentlich unsere Kritik vorzutragen. Wir tun das in der Hoffnung, dass man sich mit unseren Argumenten auseinandersetzt.

 

Auch auf unsere Anfrage, den Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrertag 2024 im Rheinland auszurichten, ging der neue Präses überhaupt nicht ein, so dass auch diese Chance für unsere Landeskirche erst einmal vertan ist. Die Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrertage sind gewiss nicht nur Veranstaltungen, die der berufsständischen Selbstvergewisserung dienen,  sondern sie wirken vielmehr mit der Erörterung von Fragen der Theologie und Ethik, positiv, im besten Sinne  evangelisch, in das kirchliche und gesellschaftliche Leben hinein.

 

Doch nun soll nicht der Eindruck entstehen, ich könne nur kritisieren. Tatsache ist, dass ich viel lieber lobe. Und wenn das Lob unsere Landeskirche betrifft, tue ich das besonders gern.

 

Ein ganz dickes Lob verdient hat Dr. Johann Weusmann, der Vizepräsident unserer Landeskirche. Mit 128 (!) Corona- Informations-Rundbriefen (Stand: 5.11.2021) begleitete er durch die schwere Corona-Krise. Ungeheuer fleißig und sehr gewissenhaft, stets up to date und immer rechtzeitig, wurden nicht nur die einzelnen, ständig veränderten Corona-Verordnungen – und das für vier Bundesländer, mit denen es unsere Landeskirche zu tun hat –  für den mouse-click aufrufbar aufbereitet, sondern es wurden auch wichtige geistliche Impulse gegeben, es wurde auf Beispiele guter Praxis hingewiesen, notwendige Verknüpfungen für die so wichtige Möglichkeiten von Hilfe in der Corona-Zeit wurden hergestellt und ein Netzwerk der Kommunikation aufgebaut.

 

Wie der Verbandsvorsitzende Andreas Kahnt in seinem Bericht in Bad Salzuflen ausführte, gab es in vielen Landeskirchen zu beklagen, dass Kirchenleitungen und kirchliche Verwaltungen ihre Pfarrerinnen und Pfarrer in ihren persönlichen Sorgen und beruflichen Belangen nicht ausreichend unterstützt und lediglich mit „schönen Grüßen aus dem Homeoffice“ alleingelassen haben.

 

Wie anders im Rheinland – und dafür nochmal herzlichen Dank, besonders an Dr. Weusmann!

 

Nicht nur Corona raubte uns den Atem, hinzukam als besondere Belastung für unsere Landeskirche die Flutkatastrophe im Juli 2021, vor allem an Ahr und Erft. Eine immense Not und ein herzerschütterndes Leid der betroffenen Menschen. Im EKiR.info-Magazin Nr.5 vom Oktober 2021 wird dokumentiert, wie groß zudem die Flut-Schäden an kirchlichen Gebäuden sind: 17 geschädigte Kirchen, 28 geschädigte Gemeindehäuser und Jugendheime, 13 geschädigte Kindergärten. Eine große Hilfsbereitschaft, die sich auch in Spenden ausdrückte, darf dankbar festgestellt werden.

Einen besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle dem Württembergischen Pfarrverein aussprechen. Mich erreichte der Anruf unserer Freunde aus Württemberg mit der Frage, wie man helfen könne. So konnte ich Ihnen die Konto-Nr. des von Landeskirche und Diakonie eingerichteten Spendenkontos geben, auf die dann die Kollekte des diesjährigen Tages der Pfarrer und Pfarrerinnen in Württemberg überwiesen wurde.

 

Nicht unerwähnt bleiben darf, was gerade auch Pfarrerinnen und Pfarrer in den betroffenen Gebieten in der Seelsorge geleistet haben. Und auch Dank an alle diejenigen, die sie von außerhalb bei diesem Dienst unterstützt haben und dazu in das Flutgebiet gekommen sind.  Die Schäden dieser Jahrhundertkatastrophe werden noch lange das Leben belasten, Seelsorge ist weiterhin sehr nötig.

 

An dieser Flutkatastrophe wurde schmerzlichst deutlich, dass uns die Folgen des Klimawandels nun auch in unserem Land treffen. Nachhaltigkeit bei allen Maßnahmen, die wir treffen, ist gefordert.

In der Tat muss unser ganzes System des Wirtschaftens umgebaut werden. Eine Jahrhundertaufgabe ist es, eine Industriegesellschaft klimaneutral zu gestalten.

 

Ich komme noch einmal auf das Zitat am Anfang meines Berichtes zurück: Nachhaltigkeit – und nicht etwa Digitalisierung – ist das Zukunftsprojekt. Die Flutkatastrophe traf uns als Naturkatastrophe sehr „analog“ (und in einem Fall halfen sogar Kirchenglocken als analoges Warnsignal besser als die digitalen Warnapps auf dem Handy). Der Klimawandel ist bereits so weit fortgeschritten, dass wir gut daran tun, Klima-Anpassungsmaßnahmen so schnell wie möglich anzugehen. Den veränderten Golfstrom und den veränderten Jetstream werden wir auch mit den ehrgeizigsten Klima-Projekten deutscher Politik nicht so schnell wieder auf normal drehen können – und das, weil wir nur ca. 1 % der Weltbevölkerung stellen bei knapp 2 % der Weltenergieverbrauchs. Auch hier gilt: „Statt einer dauernden Revolution bedarf es einer durchdachten Renovation und ständigen Sanierung, die sich an den natürlichen Gegebenheiten unseres Planeten orientiert“.

Wir können in Deutschland den Klimawandel nicht aufhalten, wir müssen uns auf ihn einstellen. Bäche-und Flüsse renaturieren, Rückhaltedämme und Zisternen bauen, wenn Wasser überreichlich vom Himmel fällt, das dann zur Verfügung steht, wenn der Überflutung die Dürre folgt, Bodenversiegelungen aufheben, Städte begrünen, Wälder mit Bäumen wiederaufforsten, die den veränderten Klimabedingungen standhalten usw.  Dazu müssen wir unsere trägen Systeme beschleunigen, die den ökologischen Umbau unserer Landschaften und Bebauungen bisher bremsten.  Die Fülle von Klima-Adaptations-Maßnahmen entbindet uns natürlich nicht davon, mit Entschiedenheit Klimaschutz und Energiewende zu betreiben. Es muss viel investiert werden, dabei vernünftig investiert werden.

 

Das gibt mir das Stichwort für meinen nächsten Punkt. Auch wir haben als Rheinischer Pfarrverein investiert in Nachhaltigkeit, indem wir Sparvermögen des Vereins in Aktienanlagen umgeschichtet haben, u.a. in zwei Ökologie-Fonds und in deutsche Einzelunternehmen, die im Ausbau der Erneuerbaren Energien und in der Bekämpfung der Corona-Pandemie engagiert sind.  Es gab in den letzten Jahren immer weniger Zinsen, nun drohten Negativ-Zinsen, das sogenannte „Verwahrentgelt“. Mit den Dividenden-Einnahmen unserer Substanzwerte können wir den Rückgang der Einnahmen der Vereinsbeiträge unserer Mitglieder ausgleichen. Die Mitgliederzahl ist demographisch bedingt rückläufig, es gibt immer weniger Pfarrstellen, es gibt immer weniger junge Theologinnen und Theologen, die nachrücken.  Aktuell zählen wir noch 976 Mitglieder,  wir sind also unter die 1000er Marke gekommen und entsenden damit in die Mitgliederversammlung des Verbandes der Pfarrvereine in Deutschland nunmehr nur noch vier statt fünf Delegierte.

 

Corona-bedingt fanden vier unserer sechs Vorstandssitzungen im letzten Berichtsjahr virtuell statt über Zoom-Videokonferenzen. Auch bei uns ist also die Digitalisierung angekommen, und diese Konferenzen haben gut funktioniert dank Dirk Voos, der die Rolle des Hosts übernahm.

 

Doch nicht nur das, Dirk Voos war vor allem auch bereit, die Geschäftsführung unseres Vereins zu übernehmen. Er wurde satzungsgemäss (§6a) in der Vorstandssitzung vom 1.6.2021 einstimmig zum Geschäftsführer gewählt und hat damit die Nachfolge von Gerhard Rabius angetreten, der dieses Amt seit 1999, also 22 Jahre innehatte.  2019 wurde Dirk Voos in den Vorstand gewählt, und die Zeit von zwei Jahren wurde genutzt, vor allem auch dank der großen Hilfe von Arnulf Linden, der die Geschäfte der Kassenführung übernahm, den Übergang in der Geschäftsführung zu gestalten. Die Verdienste von Gerhard Rabius in mehr als zwei Jahrzehnten für unseren Verein sind kaum genug zu würdigen, und das umso mehr, als er in den letzten Jahren durch Pflegeaufgaben in seiner lieben Familie sehr angespannt war. Andere hätten längst sich von einem solch zeitintensiven Ehrenamt zurückgezogen, Gerhard Rabius blieb uns treu und half gerade die letzten beiden Jahre, bis Dirk Voos so weit war, zu übernehmen.  Allen dreien sei an dieser Stelle noch einmal Dank gesagt für das, was sie gemeinsam für den Verein getan haben.

 

Unsere Satzung wie auch die Geschäftsordnung der Mitgliederversammlung sieht nicht eigens die Wahl zu einem „Ehrengeschäftsführer“ vor, aber wir sind im Vorstand der Meinung, der Mitgliederversammlung vorzuschlagen, Gerhard Rabius diese Bezeichnung zukommen zu lassen mit einem entsprechenden Votum heute.

Ich komme zum Schluss: auch in Corona-Zeiten waren wir als Pfarrverein gefragt in vielen Einzelberatungen für unsere Mitglieder. Wir konnten Hilfe vermitteln, wo nötig auch rechtsanwaltlichen Beistand. Eine sehr gute Verbindung haben wir zur Schwerbehindertenvertretung für Pfarrpersonen der Evangelischen Kirche im Rheinland, namentlich gerade zu Christoph König, der sehr engagiert in einem Feld arbeitet, das immer größer zu werden scheint. In der letzten Vorstandssitzung am 2. November 2021 war er bei uns und berichtete von Fällen und Zahlen, die man kaum für möglich hält.

 

Gesundheit im Pfarrberuf ist und bleibt ein Thema. An uns werden immer mehr Burnout-Probleme von Brüdern und Schwestern herangetragen, wen soll das noch wundern bei dem ganzen Reformstress, dem weiter betriebenen Pfarrstellen-Abbau, der trotz allen Beteuerungen und Programmen eben nicht mit entsprechenden Entlastungen einhergeht, sondern eben durch die Fusionsprozesse Mehrbelastungen einbringt. Sie merken – auch hier komme ich auf mein Eingangszitat zurück, das ich mehrfach unterstrichen habe, und das nun im Verlauf meiner Ausführungen mit den Inhalten gefüllt wurde, die uns in unserer Kirche beschäftigen.

 

Um es noch einmal zusammenfassend zu sagen: Wir brauchen keine weiteren „Struktur- und Reformprozesse“ mit immer neuen „Papieren“, wir brauchen keine „dauernde Revolution“, sondern es bedarf einer „durchdachten Renovation“. Anders gesagt, es bedarf einer Reformation der Kirche, die sich nicht an Leitbildern oder Positionspapieren orientiert, sondern an den starken Narrativen der Bibel. Von Jesus in seinen Gleichnissen, von Paulus in seinen Briefen, werden wir ins Bild gesetzt und können erkennen, was Jüngerschaft und Nachfolge bedeutet und was eine Kirche für das Volk - bei durchaus auch geringeren Zahlen von Kirchenmitgliedern und Christen und Christinnen im Land -  weiterhin als „Volkskirche“ sein kann.

 

Volkskirche im Sinne von „Kirche für das Volk“.  Also eine qualitative Definition von Kirche, und nicht quantitativ im Sinne von wie viel Menschen in unserem Land noch Mitglied einer christlichen Kirche sind. Das Papier des Theologischen Ausschusses unserer Landeskirche vom Januar 2021 „Lobbyistin der Gottoffenheit“ ruft das Ende der Volkskirche aus, da bald weniger als die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen Mitglied einer christlichen Kirche sein werden. Man spricht nach dem Ende der Volkskirche von „Minderheitskirche“. Dahinter steckt der fundamentale Fehler, Volkskirche mit genitivus subiectivus als Kirche des Volkes misszuverstehen. Ein solcher Fehler unterläuft, wenn die erste Orientierung nicht die am Zeugnis der Heiligen Schrift ist. Die Barmer Theologische Erklärung von 1934 bleibt auch für unsere Zeit richtungsweisend, weil sie die Kirche darauf verweist, dass „außer und neben dem einen Wort Gottes nicht auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung“ Anerkennung finden dürfen.

Als Vorstand des Evangelischen Pfarrvereins im Rheinland arbeiten wir an einem Buch, mit dem wir uns in den Diskurs um das ausgerufene Ende der Volkskirche und die Suche nach neuen leitenden Bildern („Lobbyistin der Gottoffenheit“, „Teamplayerin“, „Agentin des Wandels“ etc.) einmischen wollen mit der Besinnung, was eine Kirche als Kirche der Reformation heute sein kann:  Eine Kirche, der es nicht um ihre eigene Zukunft geht, wobei sie ständig „Zukunftsfähigkeit“ buchstabiert, sondern die zu mehr unterwegs ist, nämlich dem Reich Gottes. Eine Kirche, die mit eben diesem Selbstverständnis Kirche ist und die sich in der Begrenzung und Konzentration auf die beiden notwendigen reformatorischen Kennzeichen, das Evangelium rein zu lehren und die Sakramente, wie sie Jesus eingesetzt hat, in der rechten Weise zu verwalten (CA VII: „evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta“) nicht um sich selbst dreht,  sondern im Sinne Dietrich Bonhoeffers „Kirche für andere“ sein kann – durch Jesus Christus, Gottes Zuspruch und Anspruch auf unser ganzes Leben, froh befreit aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen“ (Barmen II).

 

Friedhelm Maurer
war von 1991 bis 2021 Pfarrer in Gemünden (Hunsrück) und ist seitdem im Ruhestand. Seit 1999 ist er Vorsitzender des Evangelischen  Pfarrvereins im Rheinland.