Vom Nutzen des Evangeliums für die Gesellschaft

Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost (Bonn)

 

Seit 25 Jahren sind Menschen in leitenden Positionen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) tätig, die ihr Leitungsverständnis vorwiegend ökonomisch bestimmen (vgl. Evang. München-Programm, 1995, Kirche der Freiheit 2006, Freiburger Gutachten 2019, 11/12 Leitsätze 2020), sie orientieren sich an Mitteln und Mitgliederzahlen.

 

Fragt man sie nach der Inhaltskomponente ihrer Verantwortung, so erhält man zurzeit vorwiegend ökonomisch orientierte Aussagen. Leitung im Sinne von Verantwortung scheint stets dann höchste Relevanz aufzuweisen, wenn es um die zu verwaltenden Finanzen geht. Wie in der Wirtschaft gilt dann allerdings auch hier das Prinzip von Angebot und Nachfrage, wobei die Vertriebswege gewiss sorgfältig zu analysieren sind. Die Beschaffenheit eines Produkts ist jedoch das Entscheidende für ein nachhaltiges Interesse an dem, was die Kirche anzubieten hat und woran Politik und Gesellschaft gelegentlich zu kranken scheinen. Entsprechend sind die Ziele zu formulieren, die sie verfolgt, spezifisch zu hierarchisieren. Ein Vergleich mit dem, was im Übrigen massenmedial angeboten wird, erscheint dabei unumgänglich. Besonders in Zeiten, in denen man einerseits auf eine breite Indifferenz zu stoßen meint, gleichzeitig aber Verschwörungstheorien wie Pilze aus dem Boden schießen, ist tatsächlich zu fragen, inwiefern das Evangelium mit anderen Angeboten für die Gesellschaft konkurrenzfähig ist, obwohl es gerade nicht um graduelle Unterschiede in der Güterabwägung geht, sondern um eine absolut andere Qualität, eine die eine anzustrebende Zukunft verspricht, die politische Entscheidungen beeinflusst und die eine Sprache findet, die den Grundbedürfnissen der Menschen entgegenkommt. Kurz gesagt: Es geht um das Evangelium im Verhältnis zu anderen Botschaften, die das Leben bestimmen und prägen.

 

Die Brisanz dieses Anliegens liegt jedoch darin, dass Grundgedanken des Evangeliums einer Dynamik der Jungsteinzeit diametral entgegenstehen. Sie heben zuweilen diesen Grundgedanken, der Stärkere sei der Bessere, weil er das Territorium des sesshaft gewordenen Stammes verteidigt, auf, verkehren ihn nahezu in sein Gegenteil. Es ist eher Fundament evangelischer Gedanken, von ökonomischer Bindung prinzipiell unabhängig zu sein, was zu anderen Entscheidungen im verantwortlichen Umgang mit der materiellen Komponente von Leitung führen muss. Dies müsste sich in der Art der hierarchischen Organisation von Kirchenleitung gegenüber den Kirchenkreisen und Gemeinden auswirken. Wie anders als an der Basis können sich Grundausstattungen entwickeln, die helfen, das Evangelium in die Gesellschaft hineinzutragen, die sie unmittelbar umgibt. Kirchenleitung kann sich dann als eine Instanz anbieten, die Erfahrungen eruiert und aus der Vielfalt Exemplarität ableitet und formuliert. Der induktive Weg erscheint unumgänglich. Aus der Sammlung der Informationen erwächst ihr eine Begleitungskompetenz, aus der sich eine lebendige Kommunikation ergeben kann. Dies wiederum wird sich als fruchtbar und bereichernd für die Verfolgung von Zielen im Sinne des Evangeliums erweisen.

 

Von den Grundgedanken des Evangeliums ist allerdings auch in der letzten Veröffentlichung, der Synodalvorlage vom Nov. 2020, die sich um mehr theologisches Profil bemüht, nur in Formeln die Rede (Christusbindung, Geistverheißung, Nächstenliebe), die sofort wieder von der ökononomischen Orientierung konterkariert werden (vgl. das allgegenwärtige Reden vom Mangel: „Dass Ressourcen weniger werden“…), die sich in dem alles einzelne prägenden Gebrauch eines herrschaftlichen „Wir“ ausdrückt. Noch jede bemühte Versicherung, man wolle doch alles gemeinschaftlich bedenken und regeln, lässt vom Profil des Evangeliums, von seinem Nutzen für die Gesellschaft, von seiner Widerständigkeit gegen die ökonomischen Maßstäbe wenig erkennen.

 

Weshalb aber sollte man das hohe Spendenaufkommen für Bedürftige (z.B. Brot für die Welt, diakonische Werke, usw.), die stille Zuwendung zu Kranken gerade in den Zeiten der Pandemie, die Fürsprache und den Einsatz für Flüchtlinge (nicht erst seit 2015 – und nicht erst seit dem Rettungseinsatz auf dem Mittelmeer), auch die Erhaltung von Kindergärten und christlichen Schulen anders verstehen, als dass hier gerade ein nicht-ökonomisch bebundenes Gewissen die Menschen bewegt.

 

Auch der Grundsatz „Vergebung statt Vergeltung“ (vgl. die fünfte Bitte im Vaterunser) ist unter Menschen alles andere als selbstverständlich, die ja immer wieder von ihrem natürlichen Egoismus erst losgesprochen und mit milderen Bildern der Konflikt-bewältigung versehen werden müssen, seit Kain und Abel.

 

Davon liest man auch in den 12 Leitsätzen (fast) nichts, dabei ist gerade das Eintreten und Pflegen des Unterschiedlichen und Abweichenden, des herausfordernd Anderen immer Kennzeichen christlicher Praxis in der Gesellschaft gewesen. Man wünscht sich, dass die Argumentation mit den finanziellen Ressourcen auch in leitenden Gremien offener und ehrlicher wird (es waren 25 Jahre stetigen, mehr oder wenige steilen Zuwachses) und abgelöst wird von einem Lob der Leistungen der Liebe, wie sie sich nicht durch NKF verrechnen lassen, wie sie sich aber in der (weithin unentgeltlichen) Basis-Arbeit der vielen Christen in Deutschland und in der Welt auch in Zeiten der Corona-Krise zeigen. 

 

 

Von oben herab

- wenig Weihnachtliches aus Herrenhausen

 

Vom Himmel hoch, da kommt sie her,

der Kirchenleitung alte Mär,

bald sei verzehrt das ganze Geld,

das sie selbst nie bereitgestellt.

 

Es sei nun endlich an der Zeit

zu finden rechte Einigkeit

bei dem, was nur die Leitung quält,

weil sie statt Worten Geld nur zählt.

 

So merket denn die Zeichen recht,

die Leitung die ist niemals schlecht (!!),

es gibt nur, was sie selbst beschloss,

sie ruht ja in McKinseys Schoß.

 

Wer sich nicht regt, wird ausgezählt,

Gemeinde ist längst abgewählt,

die Alten sind uns eh' egal,

da kümmern wir uns später mal.

 

Des lasst uns alle fröhlich sein,

das Management zieht mit uns ein,

verliert's am Ende die Geduld,

am Unglück sind wir selber schuld.

 

 

 ...und ein weiterer  "Gereimter Kommentar" zum Thema:

 

Von bloßen Zahlen lasst euch bloß nicht schrecken,                                             

von leeren Kirchen nicht und leeren Kassen,                                                        

wenn es denn stimmt! Wir lassen nicht verblassen,                                               

was jedermann am Glauben kann entdecken:

 

Wie Gott der Menschen Kräfte stets will wecken,                                                    

dass sie einander stützend unterfassen,                                                                  

und käme Not hierher in großen Massen,                                                               

es soll kein Christ die Friedenswaffen strecken:

 

Aus jeder Hilfe neue Kräfte blühen,                                                                        

noch immer sät Hingabe Freundlichkeit,

 

und geht einmal die Saat nicht auf, wir ziehen                                                    

uns nicht zurück von Elend, Not und Leid,

 

weil wir doch selbst von Gott Beschenkte sind,                                                     

seit uns die Eltern trugen als ein Windelkind.